Johann Wolfgang von Goethe
Der Groß-Cophta - Kapitel 4
                                             Dritter Aufzug.
                                             Erster Auftritt.

                                          Zimmer des Domherrn.
    (Im Grunde ein Kamin, auf dessen beyden Seiten zwey Bilder in Lebensgröße, eines ältlichen Herrn und einer jungen Dame.)

Der Domherr (Papiere in der Hand haltend). Soll ich denn wieder einmahl, angebethete Fürstinn, vor dein schönes Bild mit hoffnungsvoller Freude treten! Soll die Sehnsucht, die zu dir hinauf blickt, endlich einigen Trost von deinen Lippen erwarten dürfen! – Noch schweb' ich in Ungewißheit. Diese köstlichen Züge seh' ich vor mir, (auf die Papiere deutend,)ich erkenne deine Hand, ich fühle deine Gesinnungen; aber noch ist es nur allgemeine Höflichkeit, noch steht keine Sylbe von dem, was ich so heftig wünsche, auf diesen Blättern. – Thor! und was verlangst du? – Ist es nicht schon genug, daß sie schreibt? Dir so viel schreibt. Und wäre nicht ihr bloßer Nahmenszug schon ein Zeuge ihrer glücklich veränderten Gesinnungen? – Veränderten? – Nein, sie hat sich nie verändert. Sie schwieg, als man mich verstieß; sie verstellte sich, um mir zu nutzen. Und nun belohnt sie mich mit zehnfachem Vertrauen, und wird bald Gelegenheit finden, mich wieder herauf zu führen. – Sie wünscht das kostbare Halsband, sie gibt mir den Auftrag, ohne Vorbewußt ihres Vaters, ihr dieses Kleinod zu verschaffen, sie sendet mir ihre Garantie, sie wird wegen der Zahlungen immer in Verbindung mit mir bleiben; gerne lege ich den ersten Termin aus, um sie noch fester an mich zu knüpfen. – Ja, du wirst – du wirst – darf ich es in der Gegenwart deines Bildes aussprechen? – du wirst mein seyn! – Welch ein Wort! – Welch ein Gedanke! – Schon füllt die Glückseligkeit wieder ganz mein Herz aus. Ja! dieses Bild scheint wieder sich zu bewegen, mir zu lächeln, mir freundlich zuzuwinken. – Schon hebt sich der Ernst von des Fürsten Stirne hinweg. Huldreich sieht er mich an, wie in jenen Tagen, als er mir diese kostbaren Gemählde unvermuthet schenkte. Und sie! – Komm herab, Göttinn, herab! – Oder hebe mich zu dir hinauf, wenn ich nicht vor deinen Augen sterben soll!

                                             Zweyter Auftritt.
                           Der Domherr. Ein Bedienter, hernach die Hofjuweliere.

Bedienter. Ew. Gnaden haben die Hofjuweliere befohlen; sie sind vor der Thüre.
Domherr. Laß sie herein kommen!
                                    (Zu den Juwelieren.)
    Nun, wie sind sie mit dem Entwurfe des Contracts zufrieden, den ich Ihnen zugeschickt habe?
Juwelier. Wegen der Summe hätten wir noch einige Erinnerungen zu machen.
Domherr. Ich dächte doch, der Schmuck wäre gut bezahlt. Sie finden nicht leicht einen Käufer. Liegt Ihnen das Halsband nicht schon ein Jahr müßig?
Juwelier. Leider! – Und dann – Verzeihen Sie, gnädiger Herr –
Domherr. Was ist's noch?
Juwelier. Wenn wir auch mit der gebothenen Summe uns begnügen und sie in den festgesetzten Terminen annehmen wollten, so werden Sie doch nicht ungnädig nehmen, wenn wir auf Ihre bloß handschriftliche Versicherung ein so kostbares Stück abzuliefern Bedenken tragen. Es ist gewiß nicht Mißtrauen; nur unsre Sicherheit in einem so wichtigen Geschäfte –
Domherr. Ich verdenke Ihnen nicht, daß Sie mir eine so große Summe nicht geradezu anvertrauen wollen. Ich habe Ihnen aber schon gesagt, daß ich das Halsband nicht für mich, sondern für eine Dame kaufe, die allerdings so viel Credit bey Ihnen haben sollte.
Juwelier. Wir trauen völlig Ihren Worten, und wünschten nur eine Zeile von der Hand unsrer gnädigsten Käuferinn.
Domherr. Ich sagte Ihnen schon, daß es nicht angeht, und empfehle Ihnen nochmahls das Geheimniß. Genug ich werde Ihr Schuldner. Damit Sie aber nicht glauben, als handelte ich übereilt und hätte nicht gewußt, mich und Sie zu decken, so lesen Sie hier.
        (Er gibt ihnen ein Papier, und spricht für sich, indem sie es lesen.)
Zwar hat die Marquise ausdrücklich verlangt, ich soll das Blatt Niemanden zeigen, soll es nur zu meiner eigenen Sicherheit verwahren. – Wenn nun aber diese Leute auch an ihre Sicherheit denken, wenn sie nun auch wissen wollen, wer mir und ihnen für eine so große Summe steht – (laut.) Was sagen Sie nun, meine Herren?
Juwelier (indem er das Blatt zurück gibt). Wir bitten um Vergebung, wir zweifeln keinen Augenblick. – Auch ohne dieß würden wir das Halsband ausgeliefert haben. Hier ist es. Wäre es gefällig, den Contract zu unterschreiben.
Domherr. Sehr gern.
        (Er unterschreibt und wechselt das Papier gegen das Schmuckkästchen aus.)
    Leben Sie wohl, meine Herren! Die Termine sollen richtig abgetragen werden, und künftig haben wir mehr mit einander zu thun.
Die Juweliere (gehen mit tiefen Verbeugungen ab).
                                             Dritter Auftritt.
                                 Domherr, nachher ein Bedienter, dann Jäck

Domherr (indem er das Halsband betrachtet). Kostbar, sehr kostbar! – und werth des schlanken weissen Halses, der dich tragen soll, werth des himmlischen Busens, den du berühren wirst. Eile zu ihr, glänzender Schmuck, damit sie einen Augenblick lächle und gefällig an den Mann denke, der viel wagt, um ihr diese Freude zu verschaffen. Geh, sei ihr ein Zeuge, daß ich Alles für sie zu thun bereit bin. (Den Schmuck ansehend.) Wäre ich ein König, du solltest sie als ein Geschenk überraschen und bald durch kostbarere Geschenke wieder verdunkelt werden. – Ach, wie betrübt's mich, wie demüthigt's mich, daß ich jetzt nur den Mäkler machen kann!
Bedienter (ein Billet bringend). Ein Bothe von der Marquise!
Domherr. Er soll warten.
Bedienter (ab).
Domherr (lies't). »Wenn der Schmuck in Ihren Händen ist, so geben Sie ihn gleich dem Überbringer. Ich habe die schönste Gelegenheit, ihn hinaus zu schicken; eine Kammerfrau ist in der Stadt, ich schicke verschiedene Putzwaaren an die Göttliche und packe die Juwelen bey. Der Lohn für diesen kleinen Dienst erwartet Sie schon heute Nacht. In einer Viertelstunde bin ich bey Ihnen. Was steht uns nicht heute bevor! Das Angesicht des Groß-Cophta und das Angesicht eines Engels. Leben Sie wohl, liebster Auserwählter. Verbrennen Sie dieß Blatt.«
    Traue ich meinen Augen? Noch heute Nacht? Geschwinde! Geschwinde! sey der Vorläufer des Glücklichsten unter allen Sterblichen.
         (Er schreibt wenige Worte und siegelt das Schmuckkästchen ein.)
    Warum muß auch heute sich Alles zusammen drängen? Soll ein einziger Abend mich für so viel lange Weile, so viel Ungeduld und Schmerzen entschädigen? Erscheine sehnlich erwarteter Zeitpunct meines Glücks! Führet mich, ihr Geister, in's Heiligthum der geheimen Kenntnisse! führe mich, o Liebe, in dein Heiligthum! (Er klingelt.)
Bedienter (tritt ein).
Domherr. Wer ist von der Marquise da?
Bedienter. Ihr Jäck.
Domherr. Laß' ihn hereinkommen!
Bedienter (ab).
Domherr. Ich habe keine Ruhe, bis ich das Kleinod in ihren Händen weiß.
Jäck (tritt auf). Was befehlen Ihro Gnaden?
Domherr. Bringe dieß Packet deiner gnädigen Frau. Eile und halt' es fest, damit du es nicht etwa verlierst.
Jäck. So wenig als meinen Kopf.
Domherr. Du bist so leichtsinnig.
Jäck. Nicht im Bestellen.
Domherr. So geh hin.
Jäck. Gnädiger Herr! Sie verwöhnen die Bothen.
Domherr. Ich verstehe. (Gibt dem Knaben Geld.) Hier, wende es wohl an!
Jäck. Ich geb' es gleich aus, damit ich es nicht verliere. Ich danke unterthänig! (Halb laut, als spräche er für sich, doch so, daß es der Domherr hören kann.) Welch ein Herr! Fürst verdient er zu seyn! (Mit vielen muthwilligen Bücklingen ab.)
Domherr. Eile nur! eile! – Wie glücklich, daß ich diesen Auftrag so schnell ausrichten konnte! Nur das Einzige macht mir Sorge, daß ich es dem Grafen verbergen mußte. – Es war der Fürstinn ausdrücklicher Wille. – O ihr guten Geister, die ihr mir so sichtbar beystandet, bleibt auf meiner Seite und verbergt die Geschichte nur auf kurze Zeit eurem Meister!
                                             Vierter Auftritt.
                                        Domherr. Ritter. Bedienter.

St. Jean. Der Ritter.
Domherr. Drey Sessel!
St. Jean (stellt die Sessel).
Ritter. Hier bin ich! Kaum habe ich diesen Augenblick erwarten können. Schon lange geh' ich ungeduldig auf der Promenade hin und wieder; es schlägt die Stunde und ich fliege hierher.
Domherr. Seyn Sie mir willkommen.
Ritter. Den Grafen fand ich auf der Treppe. Er redete mich liebreich an, mit einem sanften Tone, den ich nicht an ihm gewohnt bin. Er wird gleich hier seyn.
Domherr. Ist er hinüber in's Logenzimmer gegangen?
Ritter. So schien mir's.
Domherr. Er bereitet sich zu feyerlichen Handlungen, Sie erst hier in den zweyten Grad aufzunehmen, dann mich in den dritten zu erheben, und uns dem Groß-Cophta vorzustellen.
Ritter. Ja er hatte die Miene eines Wohlthäters, eines Vaters. Diese Miene ließ mich viel hoffen. O wie schön glänzt die Güte vom Angesicht des Gewaltigen!

                                             Fünfter Auftritt.
                                           Die Vorigen. Der Graf.

Graf (indem er seinen Hut abnimmt und gleich wieder aufsetzt). Ich grüße euch, Männer des zweyten Grades!
Domherr. Wir danken dir!
Ritter. Nennst du mich auch schon so?
Graf. Den ich so grüße, der ist's. (Er setzt sich auf den mittelsten Sessel.) Bedeckt Euch.
Domherr. Du befiehlst es! (er setzt auf.)
Graf. Ich befehle nicht. Ihr bedient euch eures Rechtes; ich erinnere euch nur.
Ritter (bey Seite, indem er den Hut aufsetzt). Welche Milde! Welche Nachsicht! Ich brenne vor Begierde, die Geheimnisse des zweyten Grades zu hören.
Graf. Setzt euch, meine Freunde, setzt euch, meine Gehülfen!
Domherr. Die Gehülfen sollten vor dem Meister stehen, um, gleich dienstbaren Geistern, seine Befehle schleunig auszurichten.
Graf. Wohlgesprochen! aber sie sitzen bey ihm, weil sie seine Räthe mehr als seine Diener sind.
                                             (Beyde setzen sich.)
Graf (zum Ritter). Wie nennt man die Männer des zweyten Grades?
Ritter. Wenn ich eben recht hörte, Gehülfen.
Graf. Warum mögen sie diesen Nahmen tragen?
Ritter. Wahrscheinlich, weil sie der Meister aufgeklärt und thätig genug findet, zu seinen Absichten mitzuwirken und seine Zwecke zu erfüllen.
Graf. Was denkst du von den Entzwecken dieses Grades?
Ritter. Ich kann mir nichts anders denken, als daß wir nun erst ausüben sollen, was uns der erste Grad gelehrt hat. Dem Schüler zeigt man von weitem, was zu thun ist; dem Gehülfen gibt man die Mittel an die Hand, wie er das Ziel erreichen könne.
Graf. Was ist das Ziel, das man den Schülern vorsteckt?
Ritter. Das eigene Beste in dem Besten der Andern zu suchen.
Graf. Was erwartet nun der antretende Gehülfe?
Ritter. Daß ihm der Meister die Mittel anzeigen soll, das allgemeine Beste zu befördern.
Graf. Erkläre dich näher.
Ritter. Du weißt besser, als ich selbst, was ich zu sagen habe. In jedes gute Herz ist das edle Gefühl von der Natur gelegt, daß es für sich allein nicht glücklich seyn kann, daß es sein Glück in dem Wohl der Andern suchen muß. Dieses schöne Gefühl weißt du in den Schülern des ersten Grades zu erregen, zu stärken, zu beleben! –Und wie nöthig ist es, uns zum Guten Muth zu machen! Unser Herz, das von Kindheit an nur in der Geselligkeit sein Glück findet, das sich so gern hingibt, und nur dann am höchsten und reinsten genießt, wenn es sich für einen geliebten Gegenstand aufopfern kann – ach! dieses Herz wird leider durch den Sturm der Welt aus seinen liebsten Träumen gerissen! Was wir geben können, will Niemand nehmen; wo wir zu wirken streben, will Niemand helfen; wir suchen und versuchen und finden uns bald in der Einsamkeit.
Graf (nach einer Pause). Weiter, mein Sohn.
Ritter. Und was noch schlimmer ist, muthlos und klein. Wer beschreibt die Schmerzen eines verkannten, von allen Seiten zurückgestoßnen menschenfreundlichen Herzens? Wer drückt die langen langsamen Qualen eines Gemüths aus, das zu wohlthätiger Theilnehmung geboren, ungern seine Wünsche und Hoffnungen aufgibt, und sich doch zuletzt derselben auf ewig entäußern muß? Glücklich, wenn es ihm noch möglich wird, eine Gattinn, einen Freund zu finden, denen er das einzeln schenken kann, was dem ganzen Menschengeschlechte zugedacht war; wenn er Kindern, wenn er – Thieren nützlich und wohlthätig seyn kann!
Graf. Ihr habt noch mehr zu sagen, fahrt fort.
Ritter. Ja, dieses schöne Gefühl belebt Ihr in euren Schülern auf's Neue. Ihr gebt ihnen Hoffnung, daß die Hindernisse, die dem sittlichen Menschen entgegen stehen, nicht unüberwindlich seyn, daß es möglich sey, sich nicht allein zu kennen, sondern sich auch zu bessern; daß es möglich sey, die Rechte der Menschen nicht nur einzusehen, sondern auch geltend zu machen, und indem man für Andere arbeitet, zugleich den einzigen schönen Lohn für sich gewinnen –
Graf (zum Domherrn, der sich bisher unruhig auf seinem Sessel bewegt hat). Was sagt Ihr zu diesen Äußerungen unsers Ritters?
Domherr (lächelnd). Daß sie von einem Schüler kommen, und von keinem Gefährten.
Ritter. Wie?
Domherr. Es ist nicht von ihm zu verlangen, er muß belehrt werden.
Ritter. Was?
Domherr. Sage mir den Wahlspruch des ersten Grades.
Ritter. Was du willst, daß die Menschen für dich thun sollen, das thue für sie.
Domherr. Vernimm dagegen den Wahlspruch des zweyten Grades: Was du willst, daß die Menschen für dich thun sollen, das thue für sie nicht.
Ritter (aufspringend). Nicht? Hat man mich zum Besten? – Darf ein vernünftiger, ein edler Mensch so reden?
Graf. Setze dich nieder und höre zu. (Zum Domherrn.). Wo ist der Mittelpunct der Welt, auf den sich Alles beziehen muß?
Domherr. In unserm Herzen.
Graf. Was ist unser höchstes Gesetz?
Domherr. Unser eigener Vortheil.
Graf. Was lehrt uns der zweyte Grad?
Domherr. Weise und klug zu seyn.
Graf. Wer ist der Weiseste?
Domherr. Der nichts anders weiß noch will, als das was begegnet.
Graf. Wer ist der Klügste?
Domherr. Der in Allem, was ihm begegnet, seinen Vortheil findet.
Ritter (der wieder aufspringt). Entlaßt mich! Es ist mir unmöglich, es ist mir unerträglich solche Reden zu hören!
Domherr (halb lachend). Ging es mir doch beynahe eben so, wie Ihnen. (Zum Grafen.) Es ist ihm zu verzeihen, daß er sich so ungeberdig stellt. (Zum Ritter.) Beruhigen Sie sich, Sie werden schon über sich selbst lachen und uns das Lächeln verzeihen, das Sie in diesem Augenblick verdrießt. Aus dem Felde der jugendlichen Schwärmerey, worin der Meister seine Schüler gängelt, glaubt man über eine goldene Brücke in eine reitzende Feenwelt hinüber geführt zu werden. Und freylich ist es unerwartet, wenn man unsanft in die wirkliche Welt wieder zurück gebracht wird, aus der man sich zu entfernen glaubte.
Ritter. Meine Herren, Sie erlauben, daß ich gehe, daß ich mich von meinem Erstaunen erhohle.
Domherr. Gehn Sie nur, gehn Sie und sehn Sie sich in der Welt, sehn Sie sich in Ihrem Herzen um. Bedauren Sie meinetwegen die Thoren; aber ziehen Sie Vortheil aus der Thorheit. Sehen Sie, wie Jeder vom Andern so viel als möglich zu nehmen sucht, um ihm so wenig als möglich zurück zu geben. Jeder mag lieber befehlen als dienen, lieber sich tragen lassen als tragen. Jeder fordert reichlich Achtung und Ehre, und gibt sie so spärlich als möglich zurück. Alle Menschen sind Egoisten; nur ein Schüler, nur ein Thor kann sie ändern wollen. Nur wer sich selbst nicht kennt, wird läugnen: daß es in seinem Herzen eben so bestellt sey.
Ritter. Wohin bin ich gerathen!
Domherr. Diesen Lauf der Welt wird Ihnen der Meister im zweyten Grade ganz enthüllen. Er wird Ihnen zeigen, daß man von den Menschen nichts verlangen kann, ohne sie zum Besten zu haben und ihrem Eigensinne zu schmeicheln; daß man sich unversöhnliche Feinde macht, wenn man die Albernen aufklären, die Nachtwandler aufwecken und die Verirrten zurecht weisen will; daß alle vorzügliche Menschen nur Marktschreyer waren und sind – klug genug ihr Ansehn und ihr Einkommen auf die Gebrechen der Menschheit zu gründen.
Ritter. Abscheulich! Abscheulich!
Graf. Es sey genug. Er mag nun selbst denken; und noch ein Wort, eh wir uns trennen. Wie nennt man den ersten Grad?
Domherr Die Lehre.
Graf. Warum?
Domherr. Damit die Schüler glauben, sie lernen etwas.
Graf. Wie nennt man den zweyten Grad?
Domherr. Die Prüfung.
Graf. Und weßwegen?
Domherr. Weil der Kopf eines Menschen darin geprüft wird, und man sieht, zu was er fähig ist.
Graf. Vortrefflich! (Leise zum Domherrn.) Laß' uns allein; ich muß diesen Trotzkopf zu begütigen suchen.
Domherr. Ich hoffte, du würdest meine Wünsche erhören und mich in den dritten Grad erheben.
Graf Ich darf dem Groß-Cophta nicht vorgreifen. Warte seine Erscheinung ab; in kurzer Zeit werden alle deine Wünsche befriedigt seyn.
                                             Sechster Auftritt.
                                            Der Graf. Der Ritter.

Graf. Junger Mann!
Ritter (der indessen nachdenklich und unbeweglich gestanden). Leben Sie wohl, Herr Graf!
Graf. Wo wollen Sie hin? Ich lasse Sie nicht weg.
Ritter. Halten Sie mich nicht! Ich lasse mich nicht halten!
Graf. Bleiben Sie!
Ritter. Nicht länger, als bis ich Ihnen Dank gesagt, für das Gute, das Sie mir erzeigt, für die Bekanntschaften, die Sie mir gemacht, für den guten Willen, den Sie mir versichert. Und nun leben Sie wohl! auf ewig wohl! denn ich möchte mich nicht undankbar zeigen gegen meinen Wohlthäter. Leben Sie wohl! und lassen mich nur noch das sagen: Ihre Wohlthaten beschämten mich nicht, denn ich glaubte sie einem edlen, großen Manne zu verdanken.
Graf. Weiter! weiter! Reden Sie aus, eher kommen Sie nicht von der Stelle.
Ritter. Sie wollen es? Sie befehlen es? Es sey denn! O Graf! wie haben Sie in dieser Viertelstunde mein Glück, meine Hoffnungen zernichtet. Haben Sie mich nicht besser gekannt, nicht besser beurtheilt?
Graf. Worin hab' ich mich denn so sehr betrogen? Ich lernte Sie als einen jungen Mann kennen, der sein Glück zu machen wünschte; der mit Eifer, ja mit Heftigkeit, nach Rang, nach Vermögen strebte, und desto heftiger, je weniger ihm seine Lage Ansprüche zu großen Hoffnungen erlaubte.
Ritter. Wohl! Aber zeigte ich mich nicht auch mit einem Herzen, das niedrige, gewöhnliche Mittel verschmähete? Wünschte ich nicht meine beste Empfehlung von meiner Redlichkeit, meiner Gesetzlichkeit, meiner Treue, von allen jenen Eigenschaften, die einen edlen Mann, die einen Soldaten zieren? – Und nun?
Graf. Und nun erschrecken Sie über den Fuchspelz, mit dem Sie Ihre Löwenmähne bedecken sollten.
Ritter. Scherzen Sie nur, ich will ernsthaft reden; ernsthaft zum letzten Mahle mit einem Manne, den ich für meinen Freund hielt. Ja, ich gesteh' es Ihnen: Ihr Betragen war mir längst verdächtig. Diese geheimen Wissenschaften, in deren Vorhof mir dunkler ward als vorher in der freyen Welt, diese wunderbaren Kräfte, die uns auf guten Glauben versichert wurden, diese Verwandtschaft mit Geistern, diese unfruchtbaren Ceremonien, Alles weissagte mir nichts Gutes; nur die Großheit Ihrer Gesinnungen, die ich in vielen Fällen kennen lernte, die Entäußerung von jedem Eigennutz, Ihre Theilnehmung, Ihre Dienstfertigkeit, Ihre Freygebigkeit, das Alles deutete mir dagegen auf einen tiefen Grund eines edlen Herzens. Ich hing an Ihrem Munde, saugte Ihre Lehren ein bis auf diesen Augenblick, der alle meine Hoffnungen zerstörte. Leben Sie wohl! – Wenn ich je ein kleinlicher niedriger Schelm werden, wenn ich dem Strome nachschwimmen und nur einen augenblicklichen elenden Vortheil für mich zum Schaden der Andern gewinnen sollte: so bedurft' es nicht dieser Vorbereitungen, dieser Anstalten, die mich beschämen und erniedrigen. Ich verlasse Sie! Aus mir werde, was da will.
Graf. Ritter, sehen Sie mich an!
Ritter. Was verlangen Sie von mir?
Graf. Was Sie mich thun sehn, thun Sie auch. (Er nimmt den Hut ab.)
Ritter. Sollen wir mit Ceremonien scheiden?
Graf. Selbst die Höflichkeit gebiethet Ihnen, zu folgen.
Ritter (indem er den Hut abnimmt). Nun denn, so empfehle ich mich Ihnen.
Graf (der seinen Hut wegwirft). Nun Ritter?
Ritter. Was soll das?
Graf. Ich verlange, daß Sie mir nachfolgen..
Ritter (der seinen Hut wegwirft). So sey denn zum letzten Mahl etwas Unverständliches, etwas Thörichtes gethan!
Graf. Nicht so thöricht wie du glaubst. (Er geht mit offenen Armen auf ihn zu.) Siehe mich von Angesicht zu Angesicht, du Erwählter. Komm' in meine Arme, schließe dich an meine Brust, erhabener Meister!
Ritter. Was soll das? Lassen Sie mich los . . .
Graf. Niemahls, wenn ich dich nicht eher lassen sollte, als bis meine Freude über diesen meinen trefflichen Freund erschöpft wäre!
Ritter. Erklärt Euch, Ihr macht mich verwirrt.
Graf. Erinnerst du dich, wie nannte der Domherr den zweyten Grad?
Ritter. Mich dünkt: die Prüfung.
Graf. Gut, die hast du überstanden.
Ritter. Erklärt Euch!
Graf. Laß mich erst meine lebhafteste Freude in diesen Umarmungen ausdrücken.
Ritter. Ich verstumme!
Graf. Wie selten hab' ich sie genossen! ich wünsche Euch Glück und mir.
Ritter. Laß mich nicht länger in Ungewißheit.
Graf. Du hast das sonderbarste Abenteuer überstanden, du hast dir die Würde eines Meisters selbst gegeben, du hast dir die Vorzüge des dritten Grades wie mit stürmender Faust erobert.
Ritter. Noch immer bin ich in Zweifel und Ungewißheit!
Graf. Ich wünschte nun, daß dein Verstand dir erklärte, was dein Herz ausgeübt hat; mit weniger Aufmerksamkeit wirst du es leicht. Was waren deine Hoffnungen als Schüler des ersten Grades?
Ritter. Besser zu werden als ich bin, und, durch Eure Hülfe, das Gute was ich erkenne, in Ausübung zu bringen.
Graf. Und was erfuhrst du, als du aus dem Munde des Domherrn die Grundsätze des zweyten Grades vernahmst?
Ritter. Ich erfuhr zu meinem Entsetzen: daß Ihr Euch bisher nur verstelltet und die Schüler zum Besten hattet; daß man die, die Ihr Gehülfen nennt, zu weltklugen Menschen machen, sie zu Egoisten stempeln, die zartesten Empfindungen der Freundschaft, der Liebe, der Treue und jeder schönen Anforderung, die unser Herz unwiderstehlich macht, aus ihrem Busen reißen und sie, ich darf es wohl sagen, zu gemeinen, ganz gemeinen, schlechten, ganz schlechten, Menschen machen wollte. Du weißt, mit welchem Abscheu ich diesen Übergang verwarf. Weiter hab' ich nichts zu sagen: ich verändere meine Gesinnungen nicht, und – entlaß mich!
Graf. Eben deßwegen schließ' ich dich an mein Herz, werfe meinen Hut vor dir weg, und grüße dich als Meister. Du hast die Prüfung überstanden, du bist der Versuchung entgangen, du hast dich als einen Mann gezeigt, den ich suche. Alles was du aus dem Munde des Domherrn gehört hast, was leider dieser Unglückliche nebst mehreren Andern für Wahrheit hält. ist nur Prüfung, nur Versuchung. Wenn die erhabenen, großen, uneigennützigen Meister einen Lehrling, der sich gut anläßt, weiter vorwärts führen wollen: so versuchen sie ihn erst, und am sichersten geschieht es, wenn sie ihm die scheinbaren Vortheile eines eigennützigen Betragens vorlegen. Greift er darnach, so thut er einen Schritt zurück, indem er glaubt einen vorwärts zu thun. Wir lassen ihn lange Zeit in seinem Sinne hingehen, und glücklich ist er, wenn wir ihn nach und nach durch große Umwege zum Licht führen.
Ritter. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Glaubt denn der Domherr, daß die Grundsätze, die er mir mit so viel Behaglichkeit vorgetragen, die rechten, die wahren sind?
Graf. Freylich glaubt er's, der Unglückliche!
Ritter. Und du, sein Busenfreund, ziehst ihn nicht aus diesem Irrthum?
Graf. Ich arbeite daran. Es ist aber schwerer als du denkst. Der Eigendünkel eines halbklugen Egoisten hebt ihn über alle Menschen hinweg; indem er sie zu übersehen glaubt, läßt er sich Alles nach, und gibt Andern eben dadurch Gelegenheit ihn zu übersehen, ihn zu beherrschen.
Ritter. Ihr solltet nicht ruhen, bis ihm die Augen geöffnet sind.
Graf. Damit du einsehen lernst, wie schwer das ist, sollst du mir helfen ihn auf den rechten Weg zu bringen.
Ritter (nach einer Pause). So wäre es denn wahr, daß ich mich an Euch nicht geirrt habe? daß ich in dir, je länger ich dich kenne, immer den Bessern, den Größern, den Unbegreiflichen finde? Meine Dankbarkeit ist grenzenlos, meine Freude verstummt in dieser Umarmung.
Graf. Nun gehe, mein Sohn. Drüben in dem Zimmer sind Kleider zurecht gelegt, in denen man sich nur dem Groß-Cophta zeigen darf. Wären Alle, die sich ihm heute vorstellen, rein wie du: so würde er von seiner Erscheinung selbst große Freude haben. Du wirst große Wunder sehen, und wirst sie bald verstehen, ja bald selbst hervorbringen lernen. Gehe, staune und schweige.
Ritter. Ich bin ganz, ich bin ewig dein!

                                             Siebenter Auftritt.

Der Graf (allein). So wäre denn auch dieser nach seiner Art zur Ordnung gewiesen. Man muß die Angeln, die Netze nach Proportion der Fische einrichten, die man zu fangen gedenkt, und wenn es ein Wallfisch ist, wirft man mit Harpunen nach ihm. Den Mäusen stellt man Fallen, Füchsen legt man Eisen, Wölfen gräbt man Gruben, und die Löwen verscheucht man mit Fackeln. Diesen jungen Löwen habe ich auch mit einer Fackel zur Ruhe gebracht, und ich darf den Meisterstreich wagen, der mein Ansehen bey Allen befestigen muß. Die Decoration ist in Ordnung, die Marquise hat mich verstanden und es wird Alles glücklich von Statten gehen.
Ein Bedienter (in einem langen weißen Feyerkleide). Alles ist fertig, Herr Graf! Der Domherr, der Ritter, die Damen sind alle gekleidet. Wollen Sie sich hier anziehen? Soll ich Ihre Kleider herüber bringen?
Graf. Nein, ich komme! Folge mir und thue dein Amt.

                                             Achter Auftritt.


                                 Vorsaal und Eingang in die ägyptische Loge


                                                (Musik.)

                                             Sechs Kinder
    (kommen gepaart in weißen langen Kleidern, mit fliegendem Haar; Rosenkränze auf dem Kopfe und Rauchfässer in den Händen).

                                             Sechs Jünglinge
    (hinter ihnen, weiß aber kurz gekleidet, gleichfalls mit Rosenkränzen auf dem Haupte, jeder zwey Fackeln kreuzweise über der Brust. Sie ziehen anständig über das Theater und stellen sich an beyde Seiten).

                                             Chor der Kinder.
Schon eröffnet ist der Tempel, Sind die Hallen, sind die Grüfte. Weihrauch reinige die Lüfte, Die um diese Säulen wehn.

                                             Chor der Jünglinge.
Holde Kinder, zarte Sprossen, Bleibet in dem Vorhof stehn, Und ihr Weisen, ihr Genossen, Eilt in's Heiligthum zu gehn.

                                             Die Genossen der Loge
    (kommen zwey und zwey aus entgegengesetzten Coulissen jedes Mahl ein Frauenzimmer und eine Mannsperson. Sie begegnen einander, grüßen sich und treten an die Thür der Loge).

                                             Chor der Kinder und Jünglinge.

Klein und ärmlich wie die Zwerge, Tiefumhüllt von Rauch und Wahn, Stehn wir vor dem heil'gen Berge – Geister, dürfen wir hinan?

                                             Chor von innen.

Bringet Ernst zur ernsten Sache, Kommt zum Licht aus Dunst und Wahn. Daß der Cophta nicht erwache – Leise, leise tretet an.

    (Die Pforte öffnet sich. Die Genossen treten hinein; die Pforte schließt sich und es kommt wieder ein neues Paar. Ceremonie und Gesang werden wiederhohlt. Es fügt sich, daß der Domherr und die Nichte zusammentreffen und mit einander in's Heiligthum gehen. Sie sind die letzten. Die Musik verliert sich in's Pianissimo, die Kinder treten in die Coulissen, die Jünglinge fallen auf die Knie zu beyden Seiten des Proscenii.)

                                             Neunter Auftritt.

(Der Vorhang geht auf und es zeigt sich ein Saal mit ägyptischen Bildern und Zierathen. In der Mitte stehe ein tiefer Sessel, auf welchem eine in Goldstoff gekleidete Person zurückgelehnt liegt, deren Haupt mit einem weißen Schleyer bedeckt ist. Zur rechten Hand kniet der Domherr, zur Linken der Ritter, vorwärts neben dem Domherrn die Marquise, neben dem Ritter der Marquis, dann die Nichte. Die Musik verliert sich.)

Domherr. Erhabener, unsterblicher Greis! Du erlaubst Unwürdigen sich deinen Füßen zu nähern, Gnade und Hülfe von dir zu erbitten. Du schläfst, oder vielmehr du scheinst zu schlafen: denn wir wissen, daß du selbst in deiner Ruhe aufmerksam und thätig bist und das Wohl der Menschen beförderst. Gib uns ein Zeichen, daran wir erkennen, daß du uns hörst, daß du uns hold bist!
                                        (Musik, nur wenige Töne.)
Der Verschleyerte (hebt die rechte Hand auf).
Ritter. Du siehst hier eine Anzahl Menschen vor dir, die aufgemuntert durch das Versprechen deines würdigsten Schülers in vollem Vertrauen sich zu dir nahen und hoffen, daß du ihre Bedürfnisse befriedigen werdest. Freylich sind diese Bedürfnisse sehr verschieden; doch selbst das Mannigfaltigste wird einfach vor deinem allgemeinen Blick, vor deiner ausgebreiteten Macht. Wirst du uns erhören, wenn wir gleich unwürdig sind?
                              (Musik wie oben nach Verhältniß.)
Der Verschleyerte (richtet sich auf).
Marquise. Verzeihe der Ungeduld eines Weibes, laß' uns dein Angesicht sehen, wir schmachten schon Monathe lang nach deiner Gegenwart.
                                        (Musik wie oben.)
Der Verschleyerte (steht auf und bleibt vor dem Sessel stehen).
Marquis. Erlaube, daß wir uns dir nahen, daß wir den Saum deines Rockes küssen. Die Wünsche, die so lange in unsern Herzen schliefen, sind jetzt aufgewacht; in deiner Gegenwart werden sie unerträglich unruhig.
                                        (Musik wie oben.)
Der Verschleyerte (tritt sachte die Stufen herunter).
Nichte (leise). Mir zittern Alle Glieder!
Domherr. Versage uns nicht länger den Glanz deines Angesichts!
Alle. Großer Cophta, wir bitten!
                              (Musik, wenige rasche Töne.
                                        (Der Schleyer fällt.)
Alle (indem sie auf ein Mahl aufstehen und weiter vortreten). Der Graf!
                              (Die Jünglinge stehen auf.)
Graf (der hervortritt). Ja, der Graf! Der Mann, den ihr bisher mit einem Nahmen nanntet, unter dem ihn die Welt in dem gegenwärtigen Augenblicke kennt. O ihr Blinden! Ihr Hartherzigen! Fast ein Jahr gehe ich mit euch um, ich unterrichte eure Unwissenheit, ich belebe euren todten Sinn, ich deute euch auf den Groß-Cophta, ich gebe euch die entscheidendsten Winke; und es geht euch kein Licht auf, daß ihr denselben Mann, den ihr sucht, beständig vor euch habt, daß ihr die Güter, nach denen ihr euch sehnt, täglich von seinen Händen empfangt, daß ihr mehr Ursache habt zu danken als zu bitten. Doch ich habe Mitleiden mit eurem irdischen Sinn, ich lasse mich zu eurer Schwäche herab. Seht mich denn in meiner Herrlichkeit; mögen eure Augen mich erkennen, wenn euer Herz mich verkannt hat! Und wenn die Gewalt, die ich über eure Gemüther ausübte, euren Glauben schwach ließ, so glaubt nun an die Wunder, die ich außer euch, aber in eurer Gegenwart vollende!
Domherr (bey Seite). Ich erstaune!
Ritter (bey Seite).. Ich verstumme!
Marquise (bey Seite). Seine Unverschämtheit übertrifft meine Erwartung.
Marquis (bey Seite). Ich bin neugierig zu sehen, wo das hinaus will.
Graf. Ihr steht bestürzt? Ihr seht vor euch nieder? Ihr getraut euch kaum mich von der Seite anzublicken? Wendet euer Gesicht zu mir, seht mir freudig und zutraulich in die Augen, werft Alle Furcht weg und erhebt euer Herz! – Ja, ihr seht den Mann vor euch, der so alt als die ägyptischen Priester, so erhaben als die indischen Weisen, sich in dem Umgange der größten Männer gebildet hat, die ihr seit Jahrhunderten bewundert; der über Allen Rang erhaben ist, keiner Güter bedarf, in der Stille das Gute wirkt, das die Welt bald dieser bald jener Ursache zuschreibt; der in einer geheimen, durch die ganze Welt ausgebreiteten Gesellschaft von Männern lebt, die mehr oder weniger einander gleich sind, sich selten persönlich, öfters aber durch ihre Werke offenbaren.
Domherr Ist es möglich, daß es noch mehrere deines Gleichen gebe?
Graf (in die Höhe deutend). Alles findet seines Gleichen, außer ein Einziger!
Ritter. Welch ein erhabener Gedanke!
Marquise (bey Seite). Welch ein Schelm! das Heiligste in seine Lüge zu verweben!
Graf. Ja, seht her. Diesem Haupte kann die brennende Sonne, der beitzende Schnee nichts anhaben. Mit diesem unbewehrten vorgestreckten Arm habe ich in den lybischen Wüsten einen brüllenden hungrigen Löwen aufgehalten, mit dieser Stimme, die zu euch spricht, ihm gedroht, bis er mir zu meinen Füßen schmeichelte. Er erkannte seinen Herrn, und ich konnte ihn nachher auf die Jagd ausschicken; nicht für mich, der ich blutige Speise nicht genieße, ja kaum einer irdischen Speise bedarf, sondern für meine Schüler, für das Volk, das sich oft in der Wüste um mich versammelte. Diesen Löwen habe ich in Alexandrien gelassen; ich werde bey meiner Rückkunft einen treuen Gefährten an ihm finden.
Domherr. Haben die übrigen Meister deiner Gesellschaft auch so große Fähigkeiten als du?
Graf. Die Gaben sind verschieden ausgetheilt; Keiner von uns darf sagen: er sey der Größte.
Ritter. Ist denn der Cirkel dieser großen Männer geschlossen, oder ist es möglich darin aufgenommen zu werden?
Graf. Vielen wäre es möglich; Wenigen gelingt es. Die Hindernisse sind zu groß.
Domherr. Wenn uns deine Erscheinung nicht unglücklicher machen soll, als wir bisher waren: so gib uns wenigstens einen Wink, wohin wir unsere Aufmerksamkeit, unser Bestreben richten sollen?
Graf. Das ist mein Vorsatz. – Nach Allen Prüfungen, die ihr ausgestanden habt, ist es billig, daß ich euch einen Schritt weiter führe, daß ich euch gleichsam eine Magnetnadel in die Hand gebe, die euch zeige, wohin ihr eure Fahrt zu richten habt. Vernehmt! –
Domherr. Ich bin ganz Ohr!
Ritter. Meine Aufmerksamkeit kann nicht höher gespannt werden!
Marquis (bey Seite). Ich bin äußerst neugierig!
Marquise (bey Seite). Was wird er vorbringen?
Graf. Wenn der Mensch, mit seinen natürlichen Kräften nicht zufrieden, etwas Besseres ahnet, etwas Höheres begehrt; wenn er sich eine unverwüstliche Gesundheit, ein dauerhaftes Leben, einen unerschöpflichen Reichthum, die Neigung der Menschen, den Gehorsam der Thiere, ja sogar Gewalt über Elemente und Geister stufenweise zu verschaffen denkt: so kann es nicht ohne tiefe Kenntniß der Natur geschehen. Hierzu eröffne ich euch die Pforte. – – Die größten Geheimnisse, Kräfte und Wirkungen liegen verborgen – – in verbis, herbis et lapidibus.
Alle. Wie?
Graf. In Worten, Kräutern und Steinen.

                                             (Pause.)
Marquise (für sich). In Steinen? Wenn er die meint, die ich in der Tasche habe, so hat er vollkommen recht.
Marquis. In Kräutern? Man sagt, es sey kein Kraut gewachsen, das unser bestimmtes Lebensziel verlängern könne; und doch muß Ihnen ein solches Kraut bekannt seyn, da Sie Ihr Leben nicht allein hoch gebracht, sondern auch Ihre Kräfte, Ihr äußeres Ansehen so lange erhalten haben.
Graf. Die Unsterblichkeit ist nicht Jedermanns Sache.
Domherr. In Worten? Hier ahne ich das meiste, erhabner Lehrer. Gewiß habt ihr eine Sprache, eine Schrift, wodurch ganz andere Dinge bezeichnet werden, als mit unsern armseligen Lauten, wodurch wir nur die gemeinsten Dinge auszudrücken im Stande sind. Gewiß besitzest du die geheimnißvollen Zeichen, mit denen Salomon die Geister bezwang?
Graf. Alle diese, ja die sonderbarsten Charaktere, die man jemahls gesehen hat, Worte, die eine menschliche Lippe kaum auszusprechen vermag.
Ritter. O lehre sie uns nach und nach buchstabiren.
Graf. Vor allen Dingen müßt ihr erkennen, daß es nicht auf die Lippen ankommt, nicht auf die Sylben, die ausgesprochen werden, sondern auf das Herz, das diese Worte nach den Lippen sendet. Ihr sollt erfahren, was eine unschuldige Seele für Gewalt über die Geister hat.
Nichte (für sich). Ach Gott! Nun wird er mich vorrufen, ich zittre und bebe! Wie schlecht werde ich meine Rolle spielen! ich wollte, ich wäre weit von hier, ich hätte diesen Menschen niemahls gesehen.
Graf. Tritt herbey, schönes unschuldiges Kind! Ohne Furcht, ohne Sorge, tritt näher, mit einer holden Freude, daß du zu dem Glück auserlesen bist, wornach so Viele sich sehnen.
Domherr. Was soll das geben?
Ritter. Was haben Sie vor?
Graf. Wartet und merket auf!
                                             (Musik)
Der Graf (gibt ein Zeichen. Ein Dreyfuß steigt aus dem Boden, auf welchem eine erleuchtete Kugel befestigt ist. Der Graf winkt derNichte, und hängt ihr den Schleyer über, der ihn vorher bedeckt hat, doch so, daß ihr Gesicht frey bleibt; sie tritt hinter den Dreyfuß. Bey dieser Pantomime legt der Graf sein gebietherisches Wesen ab; er zeigt sich sehr artig und gefällig, gewisser Maßen ehrerbiethig gegen sie. Die Kinder mit den Rauchfässern treten neben den Dreyfuß. Der Graf steht zunächst der Nichte, die Übrigen gruppiren sich mit Verstand. Die Jünglinge stehen ganz vorn. Die Nichte sieht auf die Kugel, die Gesellschaft auf sie, mit der größten Aufmerksamkeit. Sie scheint einige Worte auszusprechen, sieht wieder auf die Kugel, und biegt sich dann erstaunt, wie Jemand, der was Unerwartetes sieht, zurück, und bleibt in der Stellung stehen. Die Musik hört auf.)
Graf. Was siehst du, geliebte Tochter? Erschrick nicht, fasse dich! Wir sind bey dir, mein Kind!
Ritter. Was kann sie sehen? Was wird sie sagen?
Domherr. Still, sie spricht!
Nichte (spricht einige Worte, aber leise, daß man sie nicht verstehen kann).
Graf. Laut, meine Tochter, lauter, daß wir es Alle verstehen!
Nichte. Ich sehe Kerzen, helle brennende Kerzen in einem prächtigen Zimmer. Jetzt unterscheide ich chinesische Tapeten, vergoldetes Schnitzwerk, einen Kronleuchter. Viele Lichter blenden mich.
Graf. Gewöhne dein Auge, sieh starr hin; was siehst du weiter? Ist Niemand im Zimmer?
Nichte. Hier! – Laßt mir Zeit – hier in dem Schimmer bey'm Kerzenlichte – am Tische sitzend – erblick' ich eine Dame; sie schreibt, sie lies't.
Domherr. Sag', kannst du sie erkennen? Wie sieht sie aus? Wer ist's? Verschweige nichts!
Nichte. Ihr Gesicht kann ich nicht sehen; die ganze Gestalt schwankt vor meinen Augen wie ein Bild auf bewegtem Wasser.
Marquise (für sich). Ganz vortrefflich spielt das gute Kind uns ihre Lection vor.
Marquis (für sich). Ich bewundere die Verstellung. Liebe Natur, wozu bist du nicht fähig!
Nichte. Jetzt! jetzt! Ihr Kleid kann ich deutlicher sehen; himmelblau fällt es um ihren Sessel und wir der Himmel ist es mit silbernen Sternen besät.
Domherr (zur Marquise). Nun werde ich ganz glücklich! Es ist die geliebte Fürstinn. Man sagte mir von diesem Kleide, blau mit silbernen Muschen, die den Augen des Kindes als Sterne erscheinen. Horch!
Nichte. Was seh' ich! Großer Meister, erhabener Cophta, entlaß mich! Ich sehe fürchterliche Dinge.
Graf. Bleibe getrost und sprich: was siehst du?
Nichte. Ich sehe zwey Geister hinter dem Stuhle; sie flistern Einer um den Andern der Dame zu.
Graf. Sind sie häßlich?
Nichte. Sie sind nicht häßlich; aber mich schaudert's.
Graf (zum Domherrn). Diese Geister sprechen zum Vortheil eines Freundes. Kannst du die Dame erkennen? Kennst du den Freund?
Domherr (ihm die Hand küssend). Du bist ewig meiner Dankbarkeit versichert!
Nichte. Sie wird unruhig; das Flistern der Geister hindert sie am Lesen, hindert sie am Schreiben; ungeduldig steht sie auf; die Geister sind weg.
                              (Sie wendet ihr Gesicht ab).
    Laßt mich einen Augenblick.
Graf. Nur gelassen, meine Tochter! Wenn du wüßtest, unter welchem Schutze du stehst! (Er unterstützt sie.)
Ritter (für sich). O wie sie liebenswürdig ist! Wie reitzend in ihrer Unschuld! Nie hat mich ein Mädchen so gerührt. Nie hab' ich eine solche Neigung empfunden! Wie sorge ich für das gute Kind! Gewiß, der Domherr, die Tante – das himmlische Wesen ahnet nicht, in welcher Gefahr sie schwebt! O wie gern möcht' ich sie aufmerksam machen, sie retten, wenn ich mich auch ganz dabey vergessen sollte.
Graf Nimm dich zusammen, meine Taube, sieh hin, gewiß du hast uns noch mehr zu offenbaren!
Nichte (auf die Kugel blickend). Sie tritt an's Kamin, sie blickte in den Spiegel! Ahi!
Graf. Was ist dir?
Nichte. Ahi!
Marquise. Was hast du?
Nichte. Ach in dem Spiegel steht der Domherr!
Domherr. Welche Glückseligkeit! Meister – ich – wie soll ich dir danken! Das thust du Alles für mich!
Nichte. Sie sieht hinein, sie lächelt; weg ist der Domherr, sie sieht sich selbst.
Ritter. Welche Wunderkraft! Welche Gaben!
Nichte (mit einem gefühlvollen freudigen Ausdruck). Ja nun! – Ich sehe Alles nun deutlich, ich sehe die herrliche Schönheit, das liebenswürdige Gesicht. Wie ihm die Traurigkeit so schön steht, die sich über alle Züge verbreitet.
Domherr (der bisher die Hände des Grafen gehalten und sie öfters geküßt). Unaussprechlich, unbeschreiblich beglückst du deinen Knecht!
Nichte. Sie wird unruhig, das Zimmer scheint ihr zu enge, sie geht nach der Glasthüre, sie will hinaus. Ach! Ach! –
Graf. Ermanne dich! Nur noch einen Augenblick! Sieh noch ein Mahl hin!
Nichte (verwirrt). Die Geister stehn ihr zur Seite. Sie öffnen die Thüre, draußen ist's dunkel.
Marquise (zum Domherrn). Sie geht dir entgegen.
Domherr. Ist's möglich!
Marquise. Du wirst's erfahren.
Nichte. Ach! (Sie fällt in Ohnmacht.)
Ritter. O Gott! Helft ihr! Schont sie! Es ist unverzeihlich, daß ihr sie nicht eher entlassen habt!
Marquise. Hier ist Salz.
    (Die Hauptpersonen drängen sich zu ihr, die Jünglinge treten aus dem Proscenio in's Theater, die Kinder furchtsam zu ihnen. Es macht Alles eine schöne aber wilde Gruppe.)
Graf. Überlaßt sie mir! Nur durch himmlischen Balsam kann sie erquickt werden.
                                        (Der Vorhang fällt.)