Gerhard Schöne
Das, was aus der Seele kommt
Im KZ von Sachsenhausen singt ein junger Mann
Einem anderen etwas in die Ohren
'S ist ein Schlaflied für sein Söhnchen, das er weinend singt
Er hat das Kind vor Wochen erst verloren

Hat mit ansehen müssen, wie sie fortrissen das Kind
Und sein Köpfchen gegen Mauern schlugen
In den Himmel hat sein toter Blick ein Loch gebrannt
Bis sie es zum Krematorium trugen

"Lulei, lulei, Söhnchen mein", so singt er seinen Schmerz
Schweigend lauscht der andere der Weise
Legt die Hand ihm auf den Arm und bittet: "Sing's nochmal
Ich versuch' es ebenfalls ganz leise."

Noch eh' sie zu Bett gehen, hat er dieses Lied gelernt
Und verspricht es nie mehr zu vergessen
Dieser stille Pole ist im Lager schon bekannt
Denn er sammelt Lieder wie besessen

Das, was aus der Seele kommt, sucht Raum in einem Lied
Und wenn sie ihm ihre Lieder geben
Wird mit diesem Boten, wenn er selber überlebt
Eine Nachricht ihres Lebens weiterleben

Der Häftling Kulisiewicz hat das Lager überlebt;
Im Gedächtnis 700 Lieder
Diese Last der Hoffnung war sein Lebenselixier
Nach der Heimkehr schrieb er alle nieder
Das, was aus der Seele kommt, sucht Raum in einem Lied
Will gehört sein, will, dass wir es singen
Trauer, Schmerz und Hoffnung, Stolz und Lebensmut
Soll in and'ren Menschen weiterklingen