Friedrich Schiller
Die Jungfrau von Orleans - Kapitel 6
                                              Fünfter Aufzug
Ein wilder Wald, in der Ferne Köhlerhütten. Es ist ganz dunkel, heftiges Donnern und Blitzen, dazwischen Schießen
                                              Erster Auftritt
                                         Köhler und Köhlerweib

Köhler.
Das ist ein grausam, mördrisch Ungewitter,
Der Himmel droht in Feuerbächen sich
Herabzugießen, und am hellen Tag
Ists Nacht, daß man die Sterne könnte sehn.
Wie eine losgelaßne Hölle tobt
Der Sturm, die Erde bebt und krachend beugen
Die alt verjährten Eschen ihre Krone.
Und dieser fürchterliche Krieg dort oben,
Der auch die wilden Tiere Sanftmut lehrt,
Daß sie sich zahm in ihre Gruben bergen,
Kann unter Menschen keinen Frieden stiften –
Aus dem Geheul der Winde und des Sturms
Heraus hört ihr das Knallen des Geschützes;
Die beiden Heere stehen sich so nah,
Daß nur der Wald sie trennt, und jede Stunde
Kann es sich blutig fürchterlich entladen.

Köhlerweib.
Gott steh uns bei! Die Feinde waren ja
Schon ganz aufs Haupt geschlagen und zerstreut,
Wie kommts, daß sie aufs neu uns ängstigen?
Köhler.
Das macht, weil sie den König nicht mehr fürchten.
Seitdem das Mädchen eine Hexe ward
Zu Reims, der böse Feind uns nicht mehr hilft,
Geht alles rückwärts.

Köhlerweib.
Horch! Wer naht sich da?

                                              Zweiter Auftritt
                             Raimond und Johanna zu den Vorigen

Raimond.
Hier seh ich Hütten. Kommt, hier finden wir
Ein Obdach vor dem wütgen Sturm. Ihr haltets
Nicht länger aus, drei Tage schon seid Ihr
Herumgeirrt, der Menschen Auge fliehend,
Und wilde Wurzeln waren Eure Speise.
(Der Sturm legt sich, es wird hell und heiter)
Es sind mitleidge Köhler. Kommt herein.

Köhler.
Ihr scheint der Ruhe zu bedürfen. Kommt!
Was unser schlechtes Dach vermag, ist euer.

Köhlerweib.
Was will die zarte Jungfrau unter Waffen?
Doch freilich! Jetzt ist eine schwere Zeit,
Wo auch das Weib sich in den Panzer steckt!
Die Königin selbst, Frau Isabeau, sagt man,
Läßt sich gewaffnet sehn in Feindes Lager,
Und eine Jungfrau, eines Schäfers Dirn,
Hat für den König unsern Herrn gefochten.
Köhler.
Was redet Ihr? Geht in die Hütte, bringt
Der Jungfrau einen Becher zur Erquickung.

                                   (Köhlerweib geht nach der Hütte)

Raimond (zur Johanna).
Ihr seht, es sind nicht alle Menschen grausam,
Auch in der Wildnis wohnen sanfte Herzen.
Erheitert Euch! Der Sturm hat ausgetobt,
Und friedlich strahlend geht die Sonne nieder.

Köhler.
Ich denk, ihr wollt zu unsers Königs Heer,
Weil ihr in Waffen reiset – Seht euch vor!
Die Engelländer stehen nah gelagert,
Und ihre Scharen streifen durch den Wald.

Raimond.
Weh uns! Wie ist da zu entkommen?

Köhler.
Bleibt,
Bis daß mein Bub zurück ist aus der Stadt.
Der soll euch auf verborgnen Pfaden führen,
Daß ihr nichts zu befürchten habt. Wir kennen
Die Schliche.
Raimond (zur Johanna).
Legt den Helm ab und die Rüstung,
Sie macht Euch kenntlich und beschützt Euch nicht.

                          (Johanna schüttelt den Kopf)

Köhler.
Die Jungfrau ist sehr traurig – Still! Wer kommt da?

                                              Dritter Auftritt
Vorige. Köhlerweib kommt aus der Hütte mit einem Becher. Köhlerbub

Köhlerweib.
Es ist der Bub, den wir zurückerwarten.
(Zur Johanna) Trinkt, edle Jungfrau! Mögs Euch Gott gesegnen!

Köhler (zu seinem Sohn).
Kommst du, Anet? Was bringst du?

Köhlerbub (hat die Jungfrau ins Auge gefaßt, welche eben den Becher an den Mund setzt; er erkennet sie, tritt auf sie zu und reißt ihr den Becher vom Munde). Mutter! Mutter!
Was macht Ihr? Wen bewirtet Ihr? Das ist die Hexe
Von Orleans!

Köhler und Köhlerweib.
Gott sei uns gnädig! (Bekreuzen sich und entfliehen)

                                              Vierter Auftritt
                                             Raimond. Johanna

Johanna (gefaßt und sanft).
Du siehst, mir folgt der Fluch, und alles flieht mich,
Sorg für dich selber und verlaß mich auch.

Raimond.
Ich Euch verlassen! Jetzt! Und wer soll Euer
Begleiter sein?

Johanna.
Ich bin nicht unbegleitet.
Du hast den Donner über mir gehört.
Mein Schicksal führt mich. Sorge nicht, ich werde
Ans Ziel gelangen, ohne daß ichs suche.

Raimond.
Wo wollt Ihr hin? Hier stehn die Engelländer,
Die Euch die grimmig blutge Rache schwuren
Dort stehn die Unsern, die Euch ausgestoßen,
Verbannt –

Johanna.
Mich wird nichts treffen, als was sein muß.

Raimond.
Wer soll Euch Nahrung suchen? Wer Euch schützen
Vor wilden Tieren und noch wildern Menschen?
Euch pflegen, wenn Ihr krank und elend werdet?

Johanna.
Ich kenne alle Kräuter, alle Wurzeln,
Von meinen Schafen lernt ich das Gesunde
Vom Giftgen unterscheiden – ich verstehe
Den Lauf der Sterne und der Wolken Zug
Und die verborgnen Quellen hör ich rauschen.
Der Mensch braucht wenig und an Leben reich
Ist die Natur.

Raimond (faßt sie bei der Hand).
Wollt Ihr nicht in Euch gehn,
Euch nicht mit Gott versöhnen – in den Schoß
Der heilgen Kirche reuend wiederkehren,

Johanna.
Auch du hältst mich der schweren Sünde schuldig?

Raimond.
Muß ich nicht, Euer schweigendes Geständnis –

Johanna.
Du, der mir in das Elend nachgefolgt,
Das einzge Wesen, das mir treu geblieben,
Sich an mich kettet, da mich alle Welt
Ausstieß, du hältst mich auch für die Verworfne,
Die ihrem Gott entsagt –
(Raimond schweigt) O das ist hart!

Raimond (erstaunt).
Ihr wäret wirklich keine Zauberin?

Johanna.
Ich eine Zauberin!

Raimond.
Und diese Wunder,
Ihr hättet sie vollbracht mit Gottes Kraft
Und seiner Heiligen?

Johanna.
Mit welcher sonst!

Raimond.
Und Ihr verstummtet auf die gräßliche
Beschuldigung? – Ihr redet jetzt, und vor dem König,
Wo es zu reden galt, verstummtet Ihr!

Johanna.
Ich unterwarf mich schweigend dem Geschick,
Das Gott, mein Meister, über mich verhängte.

Raimond.
Ihr konntet Eurem Vater nichts erwidern!

Johanna.
Weil es vom Vater kam, so kams von Gott,
Und väterlich wird auch die Prüfung sein.

Raimond.
Der Himmel selbst bezeugte Eure Schuld!

Johanna.
Der Himmel sprach, drum schwieg ich.

Raimond.
Wie? Ihr konntet
Mit einem Wort Euch reinigen, und ließt
Die Welt in diesem unglückselgen Irrtum?

Johanna.
Es war kein Irrtum, eine Schickung wars.

Raimond.
Ihr littet alle diese Schmach unschuldig,
Und keine Klage kam von Euren Lippen!
– Ich staune über Euch, ich steh erschüttert,
Im tiefsten Busen kehrt sich mir das Herz!
O gerne nehm ich Euer Wort für Wahrheit,
Denn schwer ward mirs, an Eure Schuld zu glauben.
Doch könnt ich träumen, daß ein menschlich Herz
Das Ungeheure schweigend würde tragen!

Johanna.
Verdient ichs, die Gesendete zu sein,
Wenn ich nicht blind des Meisters Willen ehrte!
Und ich bin nicht so elend, als du glaubst.
Ich leide Mangel, doch das ist kein Unglück
Für meinen Stand, ich bin verbannt und flüchtig,
Doch in der Öde lernt ich mich erkennen.
Da, als der Ehre Schimmer mich umgab,
Da war der Streit in meiner Brust, ich war
Die Unglückseligste, da ich der Welt
Am meisten zu beneiden schien – Jetzt bin ich
Geheilt, und dieser Sturm in der Natur,
Der ihr das Ende drohte, war mein Freund,
Er hat die Welt gereinigt und auch mich.
In mir ist Friede – Komme, was da will,
Ich bin mir keiner Schwachheit mehr bewußt!

Raimond.
O kommt, kommt, laßt uns eilen, Eure Unschuld
Laut, laut vor aller Welt zu offenbaren!

Johanna.
Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen!
Nur wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht!
Ein Tag wird kommen, der mich reiniget.
Und die mich jetzt verworfen und verdammt,
Sie werden ihres Wahnes inne werden,
Und Tränen werden meinem Schicksal fließen.

Raimond.
Ich sollte schweigend dulden, bis der Zufall –

Johanna (ihn sanft bei der Hand fassend).
Du siehst nur das Natürliche der Dinge,
Denn deinen Blick umhüllt das irdsche Band.
Ich habe das Unsterbliche mit Augen
Gesehen – ohne Götter fällt kein Haar
Vom Haupt des Menschen – Siehst du dort die Sonne
Am Himmel niedergehen – So gewiß
Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,
So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!

                                              Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Königin Isabeau mit Soldaten erscheint im Hintergrund

Isabeau (noch hinter der Szene).
Dies ist der Weg ins engelländsche Lager!

Raimond.
Weh uns! die Feinde!

(Soldaten treten auf, bemerken im Hervorkommen die Johanna, und taumeln erschrocken zurück)

Isabeau.
Nun! was hält der Zug!

Soldaten.
Gott steh uns bei!

Isabeau.
Erschreckt euch ein Gespenst!
Seid ihr Soldaten? Memmen seid ihr! – Wie,

(Sie drängt sich durch die andern, tritt hervor und fährt zurück, wie sie die Jungfrau erblickt)

Was seh ich! Ha!
(Schnell faßt sie sich und tritt ihr entgegen)
Ergib dich! Du bist meine
Gefangene.

Johanna.
Ich bins.

                                             (Raimond entflieht mit Zeichen der Verzweiflung)

Isabeau (zu den Soldaten).
Legt sie in Ketten!
(Die Soldaten nahen sich der Jungfrau schüchtern, sie reicht den Arm hin und wird gefesselt)
Ist das die Mächtige, Gefürchtete,
Die eure Scharen wie die Lämmer scheuchte,
Die jetzt sich selber nicht beschützen kann?
Tut sie nur Wunder, wo man Glauben hat,
Und wird zum Weib, wenn ihr ein Mann begegnet?
(Zur Jungfrau) Warum verließest du dein Heer? Wo bleibt
Graf Dunois, dein Ritter und Beschützer?

Johanna.
Ich bin verbannt.

Isabeau (erstaunt zurücktretend).
Was? Wie? Du bist verbannt?
Verbannt vom Dauphin!

Johanna.
Frage nicht! Ich bin
In deiner Macht, bestimme mein Geschick.

Isabeau.
Verbannt, weil du vom Abgrund ihn gerettet,
Die Krone ihm hast aufgesetzt zu Reims,
Zum König über Frankreich ihn gemacht?
Verbannt! Daran erkenn ich meinen Sohn!
– Führt sie ins Lager. Zeiget der Armee
Das Furchtgespenst, vor dem sie so gezittert!
Sie eine Zauberin! Ihr ganzer Zauber
Ist euer Wahn und euer feiges Herz!
Eine Närrin ist sie, die für ihren König
Sich opferte, und jetzt den Königslohn
Dafür empfängt – Bringt sie zu Lionel –
Das Glück der Franken send ich ihm gebunden,
Gleich folg ich selbst.

Johanna.
Zu Lionel! Ermorde mich
Gleich hier, eh du zu Lionel mich sendest.

Isabeau (zu den Soldaten).
Gehorchet dem Befehle. Fort mit ihr! (Geht ab)

                                              Sechster Auftritt
                                             Johanna. Soldaten

Johanna (zu den Soldaten).
Engländer, duldet nicht, daß ich lebendig
Aus eurer Hand entkomme! Rächet euch!
Zieht eure Schwerter, taucht sie mir ins Herz,
Reißt mich entseelt zu eures Feldherrn Füßen!
Denkt, daß ichs war, die eure Trefflichsten
Getötet, die kein Mitleid mit euch trug,
Die ganze Ströme engelländschen Bluts
Vergossen, euren tapfern Heldensöhnen
Den Tag der frohen Wiederkehr geraubt!
Nehmt eine blutge Rache! Tötet mich!
Ihr habt mich jetzt, nicht immer möchtet ihr
So schwach mich sehn –


Anführer der Soldaten.
Tut, was die Königin befahl!

Johanna
Sollt ich
Noch unglückselger werden als ich war!
Furchtbare Heilge! deine Hand ist schwer!
Hast du mich ganz aus deiner Huld verstoßen?
Kein Gott erscheint, kein Engel zeigt sich mehr,
Die Wunder ruhn, der Himmel ist verschlossen.

(Sie folgt den Soldaten)

                                             
Das französische Lager

                                              Siebenter Auftritt
                     Dunois zwischen dein Erzbischof und Du Chatel

Erzbischof.
Bezwinget Euern finstern Unmut, Prinz!
Kommt mit uns! Kehrt zurück zu Euerm König!
Verlasset nicht die allgemeine Sache
In diesem Augenblick, da wir aufs neu
Bedränget, Eures Heldenarms bedürfen.

Dunois.
Warum sind wir bedrängt? Warum erhebt
Der Feind sich wieder? Alles war getan,
Frankreich war siegend und der Krieg geendigt.
Die Retterin habt ihr verbannt, nun rettet
Euch selbst! Ich aber will das Lager
Nicht wieder sehen, wo sie nicht mehr ist.

Du Chatel.
Nehmt bessern Rat an, Prinz. Entlaßt uns nicht
Mit einer solchen Antwort!

Dunois.
Schweigt, Du Chatel! Ich hasse Euch, von Euch will ich nichts hören.
Ihr seid es, der zuerst an ihr gezweifelt.

Erzbischof.
Wer ward nicht irr an ihr und hätte nicht
Gewankt an diesem unglückselgen Tage,
Da alle Zeichen gegen sie bewiesen!
Wir waren überrascht, betäubt, der Schlag
Traf zu erschütternd unser Herz – Wer konnte
In dieser Schreckensstunde prüfend wägen?
Jetzt kehrt uns die Besonnenheit zurück,
Wir sehn sie, wie sie unter uns gewandelt,
Und keinen Tadel finden wir an ihr.
Wir sind verwirrt – wir fürchten schweres Unrecht
Getan zu haben. – Reue fühlt der König,
Der Herzog klagt sich an, La Hire ist trostlos,
Und jedes Herz hüllt sich in Trauer ein.

Dunois.
Sie eine Lügnerin! Wenn sich die Wahrheit
Verkörpern will in sichtbarer Gestalt,
So muß sie ihre Züge an sich tragen!
Wenn Unschuld, Treue, Herzensreinigkeit
Auf Erden irgend wohnt – auf ihren Lippen,
In ihren klaren Augen muß sie wohnen!

Erzbischof.
Der Himmel schlage durch ein Wunder sich
Ins Mittel, und erleuchte dies Geheimnis,
Das unser sterblich Auge nicht durchdringt –
Doch wie sichs auch entwirren mag und lösen,
Eins von den beiden haben wir verschuldet!
Wir haben uns mit höllischen Zauberwaffen
Verteidigt oder eine Heilige verbannt!
Und beides ruft des Himmels Zorn und Strafen
Herab auf dieses unglückselge Land!

                                              Achter Auftritt
                   Ein Edelmann zu den Vorigen, hernach Raimond

Edelmann.
Ein junger Schäfer fragt nach deiner Hoheit,
Er fodert dringend, mit dir selbst zu reden,
Er komme, sagt er, von der Jungfrau –

Dunois.
Eile!
Bring ihn herein! Er kommt von ihr!
(Edelmann öffnet dem Raimond die Türe, Dunois eilt ihm entgegen)
Wo ist sie?
Wo ist die Jungfrau?

Raimond. Heil Euch, edler Prinz,
Und Heil mir, daß ich diesen frommen Bischof,
Den heilgen Mann, den Schirm der Unterdrückten,
Den Vater der Verlaßnen bei Euch finde!

Dunois.
Wo ist die Jungfrau?

Erzbischof.
Sag es uns, mein Sohn!

Raimond.
Herr, sie ist keine schwarze Zauberin!
Bei Gott und allen Heiligen bezeug ichs.
Im Irrtum ist das Volk. Ihr habt die Unschuld
Verbannt, die Gottgesendete verstoßen!

Dunois.
Wo ist sie? Sage!

Raimond.
Ihr Gefährte war ich
Auf ihrer Flucht in dem Ardennerwald,
Mir hat sie dort ihr Innerstes gebeichtet.
In Martern will ich sterben, meine Seele
Hab keinen Anteil an dem ewgen Heil,
Wenn sie nicht rein ist, Herr, von aller Schuld!

Dunois.
Die Sonne selbst am Himmel ist nicht reiner!
Wo ist sie, sprich!

Raimond.
O wenn Euch Gott das Herz
Gewendet hat – So eilt! So rettet sie!
Sie ist gefangen bei den Engelländern.

Dunois.
Gefangen! Was!

Erzbischof.
Die Unglückselige!

Raimond.
In den Ardennen, wo wir Obdach suchten,
Ward sie ergriffen von der Königin,
Und in der Engelländer Hand geliefert.
O rettet sie, die euch gerettet hat,
Von einem grausenvollen Tode!

Dunois.
Zu den Waffen! Auf! Schlagt Lärmen! Rührt die Trommeln!
Führt alle Völker ins Gefecht! Ganz Frankreich
Bewaffne sich! Die Ehre ist verpfändet
Die Krone, das Palladium entwendet,
Setzt alles Blut! setzt euer Leben ein!
Frei muß sie sein, noch eh der Tag sich endet! (Gehen ab)

                             Ein Wachturm, oben eine Öffnung
                                              Neunter Auftritt
                          Johanna und Lionel. Fastolf. Isabeau

Fastolf (eilig hereintretend).
Das Volk ist länger nicht zu bändigen.
Sie fodern wütend, daß die Jungfrau sterbe.
Ihr widersteht vergebens. Tötet sie,
Und werft ihr Haupt von dieses Turmes Zinnen,
Ihr fließend Blut allein versöhnt das Heer.

Isabeau (kommt).
Sie setzen Leitern an, sie laufen Sturm!
Befriediget das Volk. Wollt Ihr erwarten,
Bis sie den ganzen Turm in blinder Wut
Umkehren und wir alle mit verderben?
Ihr könnt sie nicht beschützen, gebt sie hin.

Lionel.
Laßt sie anstürmen! Laßt sie wütend toben!
Dies Schloß ist fest, und unter seinen Trümmern
Begrab ich mich, eh mich ihr Wille zwingt.
– Antworte mir, Johanna! Sei die Meine,
Und gegen eine Welt beschütz ich dich.

Isabeau.
Seid Ihr ein Mann?

Lionel.
Verstoßen haben dich
Die Deinen, aller Pflichten bist du ledig
Für dein unwürdig Vaterland. Die Feigen,
Die um dich warben, sie verließen dich,
Sie wagten nicht den Kampf um deine Ehre.
Ich aber, gegen mein Volk und das deine
Behaupt ich dich. – Einst ließest du mich glauben,
Daß dir mein Leben teuer sei! Und damals
Stand ich im Kampf als Feind dir gegenüber,
Jetzt hast du keinen Freund als mich!

Johanna.
Du bist
Der Feind mir, der verhaßte, meines Volks.
Nichts kann gemein sein zwischen dir und mir.
Nicht lieben kann ich dich, doch wenn dein Herz
Sich zu mir neigt, so laß es Segen bringen
Für unsre Völker. – Führe deine Heere
Hinweg von meines Vaterlandes Boden,
Die Schlüssel aller Städte gib heraus,
Die ihr bezwungen, allen Raub vergüte,
Gib die Gefangnen ledig, sende Geiseln
Des heiligen Vertrags, so biet ich dir
Den Frieden an in meines Königs Namen.

Isabeau.
Willst du in Banden uns Gesetze geben?

Johanna.
Tu es bei Zeiten, denn du mußt es doch.
Frankreich wird nimmer Englands Fesseln tragen.
Nie, nie wird das geschehen! Eher wird es
Ein weites Grab für eure Heere sein.
Gefallen sind euch eure Besten, denkt
Auf eine sichre Rückkehr, euer Ruhm
Ist doch verloren, eure Macht ist hin.

Isabeau.
Könnt Ihr den Trotz der Rasenden ertragen?

                                      Zehnter Auftritt
                  Die Vorigen. Ein Hauptmann kommt eilig

Hauptmann.
Eilt, Feldherr, eilt, das Heer zur Schlacht zu stellen,
Die Franken rücken an mit fliegenden Fahnen,
Von ihren Waffen blitzt das ganze Tal.

Johanna (begeistert).
Die Franken rücken an! Jetzt, stolzes England,
Heraus ins Feld, jetzt gilt es, frisch zu fechten!

Fastolf.
Unsinnige, bezähme deine Freude!
Du wirst das Ende dieses Tags nicht sehn.

Johanna.
Mein Volk wird siegen und ich werde sterben,
Die Tapfern brauchen meines Arms nicht mehr.

Lionel.
Ich spotte dieser Weichlinge! Wir haben
Sie vor uns her gescheucht in zwanzig Schlachten,
Eh dieses Heldenmädchen für sie stritt!
Das ganze Volk veracht ich bis auf eine,
Und diese haben sie verbannt. – Kommt, Fastolf!
Wir wollen ihnen einen zweiten Tag
Bei Crequi und Poitiers bereiten.
Ihr, Königin, bleibt in diesem Turm, bewacht
Die Jungfrau, bis das Treffen sich entschieden,
Ich laß Euch fünfzig Ritter zur Bedeckung.

Fastolf.
Was? Sollen wir dem Feind entgegengehn,
Und diese Wütende im Rücken lassen?

Johanna.
Erschreckt dich ein gefesselt Weib?

Lionel.
Gib mir
Dein Wort, Johanna, dich nicht zu befreien!

Johanna.
Mich zu befreien ist mein einzger Wunsch.

Isabeau
Legt ihr dreifache Fesseln an. Mein Leben
Verbürg ich, daß sie nicht entkommen soll.

(Sie wird mit schweren Ketten um den Leib und um die Arme gefesselt)

Lionel (zur Johanna).
Du willst es so! Du zwingst uns! Noch stehts bei dir!
Entsage Frankreich! Trage Englands Fahne,
Und du bist frei, und diese Wütenden,
Die jetzt dein Blut verlangen, dienen dir!
Fastolf (dringend).
Fort, fort, mein Feldherr!

Johanna.
Spare deine Worte!
Die Franken rücken an, verteidge dich!

                                 (Trompeten ertönen, Lionel eilt fort)

Fastolf.
Ihr wißt, was Ihr zu tun habt, Königin!
Erklärt das Glück sich gegen uns, seht Ihr,
Daß unsre Völker fliehen –

Isabeau (einen Dolch ziehend).
Sorget nicht!
Sie soll nicht leben, unsern Fall zu sehn.

Fastolf (zur Johanna).
Du weißt, was dich erwartet. Jetzt erflehe
Glück für die Waffen deines Volks! (Er geht ab)

                                              Eilfter Auftritt
                                     Isabeau. Johanna. Soldaten

Johanna.
Das will ich!
Daran soll niemand mich verhindern. – Horch!
Das ist der Kriegsmarsch meines Volks! Wie mutig
Er in das Herz mir schallt und siegverkündend!
Verderben über England! Sieg den Franken!
Auf, meine Tapfern! Auf! Die Jungfrau ist
Euch nah, sie kann nicht vor euch her wie sonst
Die Fahne tragen – schwere Bande fesseln sie,
Doch frei aus ihrem Kerker schwingt die Seele
Sich auf den Flügeln eures Kriegsgesangs.

Isabeau (zu einem Soldaten).
Steig auf die Warte dort, die nach dem Feld
Hin sieht, und sag uns, wie die Schlacht sich wendet.

                             (Soldat steigt hinauf)

Johanna.
Mut, Mut, mein Volk! Es ist der letzte Kampf!
Den einen Sieg noch, und der Feind liegt nieder.

Isabeau.
Was siehest du?

Soldat.
Schon sind sie aneinander.
Ein Wütender auf einem Barberroß,
Im Tigerfell, sprengt vor mit den Gendarmen.

Johanna.
Das ist Graf Dunois! Frisch, wackrer Streiter!
Der Sieg ist mit dir!

Soldat.
Der Burgunder greift
Die Brücke an.

Isabeau.
Daß zehen Lanzen ihm
Ins falsche Herz eindrängen, dem Verräter!

Soldat.
Lord Fastolf tut ihm mannhaft Widerstand.
Sie sitzen ab, sie kämpfen Mann für Mann,
Des Herzogs Leute und die unsrigen.

Isabeau.
Siehst du den Dauphin nicht? Erkennst du nicht
Die königlichen Zeichen?

Soldat.
Alles ist
In Staub vermengt Ich kann nichts unterscheiden.

Johanna.
Hätt er mein Auge oder stünd ich oben,
Das Kleinste nicht entginge meinem Blick!
Das wilde Huhn kann ich im Fluge zählen,
Den Falk erkenn ich in den höchsten Lüften.

Soldat.
Am Graben ist ein fürchterlich Gedräng,
Die Größten, scheints, die Ersten kämpfen dort.

Isabeau.
Schwebt unsre Fahne noch?

Soldat.
Hoch flattert sie.

Johanna
Könnt ich nur durch der Mauer Ritze schauen,
Mit meinem Blick wollt ich die Schlacht regieren!

Soldat.
Weh mir! Was seh ich! Unser Feldherr ist
Umzingelt!

Isabeau (zuckt den Dolch auf Johanna).
Stirb, Unglückliche!

Soldat (schnell).
Er ist befreit.
Im Rücken faßt der tapfere Fastolf
Den Feind – er bricht in seine dichtsten Scharen.

Isabeau (zieht den Dolch zurück).
Das sprach dein Engel!

Soldat.
Sieg! Sieg! Sie entfliehen!

Isabeau.
Wer flieht?

Soldat.
Die Franken, die Burgunder fliehn,
Bedeckt mit Flüchtigen ist das Gefilde.

Johanna.
Gott! Gott! So sehr wirst du mich nicht verlassen!

Soldat.
Ein schwer Verwundeter wird dort geführt.
Viel Volk sprengt ihm zu Hülf, es ist ein Fürst.

Isabeau.
Der Unsern einer oder Fränkischen?

Soldat.
Sie lösen ihm den Helm, Graf Dunois ists.

Johanna (greift mit krampfhafter Anstrengung in ihre Ketten).
Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!

Soldat.
Sie! Halt! Wer trägt den himmelblauen Mantel
Verbrämt mit Gold,

Johanna (lebhaft).
Das ist mein Herr, der König!

Soldat.
Sein Roß wird scheu – es überschlägt sich – stürzt,
Er windet schwer arbeitend sich hervor –
(Johanna begleitet diese Worte mit leidenschaftlichen Bewegungen)
Die Unsern nahen schon in vollem Lauf –
Sie haben ihn erreicht – umringen ihn –

Johanna.
O hat der Himmel keine Engel mehr!

Isabeau (hohnlachend).
Jetzt ist es Zeit! Jetzt, Retterin, errette!

Johanna (stürzt auf die Knie, mit gewaltsam heftiger Stimme betend).
Höre mich, Gott, in meiner höchsten Not,
Hinauf zu dir, in heißem Flehenswunsch,
In deine Himmel send ich meine Seele.
Du kannst die Fäden eines Spinngewebs
Stark machen wie die Taue eines Schiffs,
Leicht ist es deiner Allmacht, ehrne Bande
In dünnes Spinngewebe zu verwandeln –
Du willst und diese Ketten fallen ab,
Und diese Turmwand spaltet sich – du halfst
Dem Simson, da er blind war und gefesselt,
Und seiner stolzen Feinde bittern Spott
Erduldete. – Auf dich vertrauend faßt' er
Die Pfosten seines Kerkers mächtig an,
Und neigte sich und stürzte das Gebäude –

Soldat.
Triumph! Triumph!

Isabeau.
Was ists?

Soldat.
Der König ist
Gefangen!

Johanna (springt auf).
So sei Gott mir gnädig!

(Sie hat ihre Ketten mit beiden Händen kraftvoll gefaßt und zerrissen. In demselben Augenblick stürzt sie sich auf den nächststehenden Soldaten, entreißt ihm sein Schwert und eilt hinaus. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach)

                                              Zwölfter Auftritt
                                            Vorige ohne Johanna

Isabeau (nach einer langen Pause).
Was war das? Träumte mir? Wo kam sie hin?
Wie brach sie diese zentnerschweren Bande?
Nicht glauben würd ichs einer ganzen Welt,
Hätt ichs nicht selbst gesehn mit meinen Augen.

Soldat (auf der Warte).
Wie? Hat sie Flügel? Hat der Sturmwind sie
Hinabgeführt?

Isabeau.
Sprich, ist sie unten?

Soldat.
Mitten
Im Kampfe schreitet sie – Ihr Lauf ist schneller
Als mein Gesicht – Jetzt ist sie hier – jetzt dort –
Ich sehe sie zugleich an vielen Orten!
– Sie teilt die Haufen – Alles weicht vor ihr,
Die Franken stehn, sie stellen sich aufs neu!
– Weh mir! Was seh ich! Unsre Völker werfen
Die Waffen von sich, unsre Fahnen sinken –

Isabeau.
Was? Will sie uns den sichern Sieg entreißen?

Soldat.
Grad auf den König dringt sie an – Sie hat ihn
Erreicht – Sie reißt ihn mächtig aus dem Kampf.
– Lord Fastolf stürzt – Der Feldherr ist gefangen.

Isabeau.
Ich will nicht weiter hören. Komm herab.

Soldat.
Flieht, Königin! Ihr werdet überfallen.
Gewaffnet Volk dringt an den Turm heran.
(Er steigt herunter)

Isabeau (das Schwert ziehend).
So fechtet, Memmen!

                                              Dreizehnter Auftritt
Vorige. La Hire mit Soldaten kommt. Bei seinem Eintritt streckt das Volk der Königin die Waffen

La Hire (naht ihr ehrerbietig).
Königin, unterwerft Euch
Der Allmacht – Eure Ritter haben sich
Ergeben, aller Widerstand ist unnütz!
– Nehmt meine Dienste an. Befehlt, wohin
Ihr wollt begleitet sein.

Isabeau.
Jedweder Ort
Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne.

                   (Gibt ihr Schwert ab und folgt ihm mit den Soldaten)
                     Die Szene verwandelt sich in das Schlachtfeld
                                              Vierzehnter Auftritt

Soldaten mit fliegenden Fahnen erfüllen den Hintergrund. Vor ihnen der König und der Herzog von Burgund, in den Armen beider Fürsten liegt Johanna tödlich verwundet, ohne Zeichen des Lebens. Sie treten langsam vorwärts. Agnes Sorel stürzt herein

Sorel (wirft sich an des Königs Brust).
Ihr seid befreit – Ihr lebt – Ich hab Euch wieder!

König.
Ich bin befreit – Ich bins um diesen Preis!
(Zeigt auf Johanna)

Sorel.
Johanna! Gott! Sie stirbt!

Burgund.
Sie hat geendet!
Seht einen Engel scheiden! Seht, wie sie daliegt,
Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind!
Des Himmels Friede spielt um ihre Züge,
Kein Atem hebt den Busen mehr, doch Leben
Ist noch zu spüren in der warmen Hand.
König. Sie ist dahin – Sie wird nicht mehr erwachen,
Ihr Auge wird das Irdsche nicht mehr schauen.
Schon schwebt sie droben ein verklärter Geist,
Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue.

Sorel.
Sie schlägt die Augen auf, sie lebt!

Burgund (erstaunt).
Kehrt sie
Uns aus dem Grab zurück? Zwingt sie den Tod,
Sie richtet sich empor! Sie steht!

Johanna (steht ganz aufgerichtet und schaut umher).
Wo bin ich?

Burgund.
Bei deinem Volk, Johanna! Bei den Deinen!

König.
In deiner Freunde, deines Königs Armen!

Johanna (nachdem sie ihn lange starr angesehen).
Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiß ich bins nicht.

König.
Du bist heilig wie die Engel,
Doch unser Auge war mit Nacht bedeckt.

Johanna (sieht heiter lächelnd umher).
Und ich bin wirklich unter meinem Volk.
Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen?
Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an?
– Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder!
Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
Doch meine Fahne seh ich nicht – Wo ist sie?
Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen,
Von meinem Meister ward sie mir vertraut,
Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen,
Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu.
König (mit abgewandtem Gesicht). Gebt ihr die Fahne!

(Man reicht sie ihr. Sie steht ganz frei aufgerichtet, die Fahne in der Hand – Der Himmel ist von einem rosigten Schein beleuchtet)

Johanna.
Seht ihr den Regenbogen in der Luft,
Der Himmel öffnet seine goldnen Tore,
Im Chor der Engel steht sie glänzend da,
Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust,
Die Arme streckt sie lächelnd mir entgegen.
Wie wird mir – Leichte Wolken heben mich –
der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.
Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück –
Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!

(Die Fahne entfällt ihr, sie sinkt tot darauf nieder – Alle stehen lange in loser Rührung. Auf einen leisen Wink des Königs werden alle Fahnen sanft auf sie niedergelassen, daß sie ganz davon bedeckt wird)