Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien - Kapitel 4
                                             Vierter Auftritt.
Königin. Prinzessin von Eboli. Marquisin von Mondecar und Marquis von Posa.

Königin.
Ich heiße Sie
Willkommen, Chevalier, auf span'schem Boden.
Marquis. Den ich noch nie mit so gerechtem Stolze
Mein Vaterland genannt, als jetzt. –

Königin (zu den beiden Damen).
Der Marquis
Von Posa, der im Ritterspiel zu Rheims
Mit meinem Vater eine Lanze brach
Und meine Farbe dreimal siegen machte –
Der Erste seiner Nation, der mich
Den Ruhm empfinden lehrte, Königin
Der Spanier zu sein. (Zum Marquis sich wendend.) Als wir im Louvre
Zum letzten Mal uns sahen, Chevalier,
Da träumt' es Ihnen wohl noch nicht, daß Sie
Mein Gast sein würden in Castilien.

Marquis. Nein, große Königin – denn damals träumte
Mir nicht, daß Frankreich noch das Einzige
An uns verlieren würde, was wir ihm
Beneidet hatten.
Königin.
Stolzer Spanier!
Das Einzige? – Und das zu einer Tochter
Vom Hause Valois?

Marquis.
Jetzt darf ich es
Ja sagen, Ihre Majestät – denn jetzt
Sind Sie ja unser.

Königin.
Ihre Reise, hör' ich,
Hat auch durch Frankreich Sie geführt. – Was bringen
Sie mir von meiner hochverehrten Mutter
Und meinen vielgeliebten Brüdern?

Marquis (überreicht ihr die Briefe).
Die Königin Mutter fand ich krank, geschieden
Von jeder andern Freude dieser Welt,
Als ihre königliche Tochter glücklich
Zu wissen auf dem span'schen Thron.

Königin.
Muß sie
Es nicht sein bei dem theuern Angedenken
So zärtlicher Verwandten? bei der süßen
Erinnrung an – Sie haben viele Höfe
Besucht auf Ihren Reisen, Chevalier,
Und viele Länder, vieler Menschen Sitte
Gesehn – und jetzt, sagt man, sind Sie gesonnen,
Ich Ihrem Vaterland sich selbst zu leben?
Ein größrer Fürst in Ihren stillen Mauern,
Als König Philipp auf dem Thron – ein Freier!
Ein Philosoph! – Ich zweifle sehr, ob Sie
Sich werden können in Madrid gefallen.
Man ist sehr – ruhig in Madrid.
Marquis.
Und das
Ist mehr, als sich das ganze übrige
Europa zu erfreuen hat.

Königin.
So hör' ich.
Ich habe alle Händel dieser Erde
Bis fast auf die Erinnerung verlernt.

(Zur Prinzessin von Eboli.)

Mir däucht, Prinzessin Eboli, ich sehe
Dort eine Hyacinthe blühen – Wollen
Sie mir sie bringen?

(Die Prinzessin geht nach dem Platze. Die Königin etwas leiser zum Marquis.)

Chevalier, ich müßte
Mich sehr betrügen, oder Ihre Ankunft
Hat einen frohen Menschen mehr gemacht
An diesem Hofe.

Marquis.
Einen Traurigen
Hab' ich gefunden – den auf dieser Welt
Nur etwas fröhlich –
(Die Prinzessin kommt mit der Blume zurück.)

Eboli.
Da der Chevalier
So viele Länder hat gesehen, wird
Er ohne Zweifel viel Merkwürdiges
Uns zu erzählen wissen.

Marquis.
Allerdings.
Und Abenteuer suchen, ist bekanntlich
Der Ritter Pflicht – die heiligste von allen,
Die Damen zu beschützen.

Mondecar.
Gegen Riesen!
Jetzt gibt es keine Riesen mehr.


Marquis.
Gewalt
Ist für den Schwachen jederzeit ein Riese.
Königin. Der Chevalier hat Recht. Es gibt noch Riesen,
Doch keine Ritter gibt es mehr.

Marquis.
Noch jüngst,
Auf meinem Rückzug von Neapel, war
Ich Zeuge einer rührenden Geschichte,
Die mir der Freundschaft heiliges Legat
Zu meiner eigenen gemacht. – Wenn ich
Nicht fürchten müßte, Ihre Majestät
Durch die Erzählung zu ermüden –

Königin.
Bleibt
Mir eine Wahl? Die Neugier der Prinzessin
Läßt sich nichts unterschlagen. Nur zur Sache.
Auch ich bin eine Freundin von Geschichten.

Marquis.
Zwei edle Häuser in Mirandola,
Der Eifersucht, der langen Feindschaft müde,
Die von den Ghibellinen und den Guelfen
Jahrhunderte schon fortgeerbt, beschlossen,
Durch der Verwandtschaft zarte Bande sich
In einem ew'gen Frieden zu vereinen.
Des mächtigen Pietro Schwestersohn,
Fernando, und die göttliche Mathilde,
Colonnas Tochter, waren ausersehn,
Dies schöne Band der Einigkeit zu knüpfen.
Nie hat zwei schönre Herzen die Natur
Gebildet für einander – nie die Welt,
Nie eine Wahl so glücklich noch gepriesen.
Noch hatte seine liebenswürd'ge Braut
Fernando nur im Bildniß angebetet –
Wie zitterte Fernando, wahr zu finden,
Was seine feurigsten Erwartungen
Dem Bilde nicht zu glauben sich getrauten!
In Padua, wo seine Studien
Ihn fesselten, erwartete Fernando
Des frohen Augenblickes nur, der ihm
Vergönnen sollte, zu Mathildens Füßen
Der Liebe erste Huldigung zu stammeln.

(Die Königin wird aufmerksamer. Der Marquis fährt nach einem kurzen Stillschweigen fort, die Erzählung, soweit es die Gegenwart der Königin erlaubt, mehr an die Prinzessin Eboli gerichtet.)

Indessen macht der Gattin Tod die Hand
Pietros frei – Mit jugendlicher Gluth
Verschlingt der Greis die Stimmen des Gerüchtes,
Das in dem Ruhm Mathildens sich ergoß.
Er kommt! Er sieht! – Er liebt! Die neue Regung
Erstickt die leisre Stimme der Natur,
Der Oheim wirbt um seines Neffens Braut
Und heiligt seinen Raub vor dem Altare.

Königin.
Und was beschließt Fernando?

Marquis.
Auf der Liebe Flügeln,
Des fürchterlichen Wechsels unbewußt,
Eilt nach Mirandola der Trunkene.
Mit Sternenschein erreicht sein schnelles Roß
Die Thore – ein bacchantisches Getön
Von Reigen und von Pauken donnert ihm
Aus dem erleuchteten Palast entgegen.
Er bebt die Stufen scheu hinauf und sieht
Sich unerkannt im lauten Hochzeitsaale,
Wo in der Gäste taumelndem Gelag
Pietro saß – ein Engel ihm zur Seite,
Ein Engel, den Fernando kennt, der ihm
In Träumen selbst so glänzend nie erschienen.
Ein einz'ger Blick zeigt ihm, was er besessen,
Zeigt ihm, was er auf immerdar verloren.
Eboli.
Unglücklicher Fernando!

Königin.
Die Geschichte
Ist doch zu Ende, Chevalier? – Sie muß
Zu Ende sein.

Marquis.
Noch nicht ganz.

Königin.
Sagten Sie
Uns nicht, Fernando sei Ihr Freund gewesen?
Marquis. Ich habe keinen theurern.

Eboli.
Fahren Sie
Doch fort in der Geschichte, Chevalier.

Marquis.
Sie wird sehr traurig – und das Angedenken
Erneuert meinen Schmerz. Erlassen Sie
Mir den Beschluß. –

(Ein allgemeines Stillschweigen.)

Königin (wendet sich zur Prinzessin von Eboli).
Nun wird mir endlich doch
Vergönnt sein, meine Tochter zu umarmen? –
Prinzessin, bringen Sie sie mir.

(Diese entfernt sich. Der Marquis winkt einem Pagen, der sich im Hintergrunde zeigt und sogleich verschwindet. Die Königin erbricht die Briefe, die der Marquis ihr gegeben, und scheint überrascht zu werden. In dieser Zeit spricht der Marquis geheim und sehr angelegentlich mit der Marquisin von Mondecar. – Die Königin hat die Briefe gelesen und wendet sich mit einem ausforschenden Blicke zum Marquis.)

Sie haben
Uns von Mathilden nichts gesagt? Vielleicht
Weiß sie es nicht, wie viel Fernando leidet?

Marquis.
Mathildens Herz hat Niemand noch ergründet –
Doch große Seelen dulden still.

Königin.
Sie sehn sich um? Wen suchen Ihre Augen?

Marquis.
Ich denke nach, wie glücklich ein Gewisser,
Den ich nicht nennen darf, an meinem Platze
Sein müßte.

Königin.
Wessen Schuld ist es, daß er
Es nicht ist?

Marquis (lebhaft einfallend).
Wie? Darf ich mich unterstehen,
Dies zu erklären, wie ich will? – Er würde
Vergebung finden, wenn er jetzt erschiene?

Königin (erschrocken).
Jetzt, Marquis, jetzt? Was meinen Sie damit?

Marquis.
Er dürfte hoffen – dürft' er?

Königin (mit wachsender Verwirrung).
Sie erschrecken mich,
Marquis – er wird doch nicht –

Marquis.
Hier ist er schon.