Reinhard Mey
Diplomatenjagd
Auf Schloss Hohenhecke zu Niederlahr
– Es hat soeben getagt –
Lädt Freiherr Bodo, wie jedes Jahr
Zur Diplomatenjagd
Durch Felder und Auen
Auf haarige Sauen
In Wiesen und Büschen
Den Hirsch zu erwischen
Den hat Freiherr Bodo für teures Geld
Am Vorabend selber hier aufgestellt

Schon bricht es herein in Wald und Flur
Das Diplomatische Corps
Die Ritter vom Orden der Konjunktur
Zwei Generäle zuvor
Bei Hörnerquinten
Mit Prügeln und Flinten
Es folgt mit Furore
Ein Monsignore –
Selbst den klapprigen Ahnherrn von Kieselknirsch
Trägt man auf der Bahre mit auf die Pirsch

Es knallen die Büchsen, ein Pulverblitz –
Es wird soeben gesagt
Dass Generalleutnant von Zitzewitz
Den Verlust seines Dackels beklagt
Der Attaché Mehring
Erlegt einen Hering
Den tiefgefroren
Die Kugeln durchbohren
Noch in Frischhaltepackung – das sei unerhört! –
Ein Keiler ergibt sich, vom Lärm ganz verstört
"Bewegt sich dort etwas am Waldesrand?"
(Der Ahnherr sieht nicht mehr recht)
"Das kriegt kurzerhand eins übergebrannt!"
(Denn schießen kann er nicht schlecht!)
Ja, ganz ohne Zweifel
Er schießt wie der Teufel
Man trägt ihn ganz leise
Bis dicht an die Schneise
Man reicht ihm die Büchse, es prasselt das Schrot –
So findet der Außenminister den Tod

Dass der Ahnherr daraufhin noch "Waidmannsheil" schreit
Hat alle peinlichst berührt
Ihm wird ein Protestschreiben überreicht
Besonders scharf formuliert
Doch muss man dem Alten
Zugute halten
Das war, bei Hubertus
Ein prächtiger Blattschuss
Und dass er das Wort Diplomatenjagd
Nur etwas zu wörtlich genommen hat

Die Nacht bricht herein und Schloß Hohenhecke
Bietet ein friedliches Bild
Der Monsignore segnet die Strecke
Von leblosem, greisem Wild
Schon fast vergessen
Will doch keiner essen
Die Veteranen
Die zähen Fasanen
Die Ente mit Rheuma
Der Keiler mit Asthma
Die Jagd wird begossen
Und dann wird beschlossen
Der Krempel wird, weil man hier großzügig denkt
Dem nächsten Armenhaus geschenkt –
So wird auch den Ärmsten der Segen zuteil
Es lebe das Waidwerk, dreimal Waidmannsheil!