Reinhard Mey
Ich brauche einen Sommelier
Einer sagt zu mir, Mann, ich seh' dir doch an
Du hast da ein echtes Problem
Das weißt du auch längst, doch schamhaft verdrängst
Du's und machst es dir einfach bequem
Doch ich sehe dich schwanken
Und mach mir Gedanken
Ich weiß, du brauchst geistlichen Rat
Du scheinst zwar ganz heiter
Doch du weißt nicht mehr weiter!
Genau, sage ich, in der Tat:

Doch ich brauch keinen Pater
Und keinen Psychiater
Wenn ich keinen Ausweg seh'
Keinen Pharmazeuten
Keinen Therapeuten
Ich brauche einen Sommelier! He!
Ich brauche einen Sommelier!

Einer bietet diskret mir sein Aktienpaket
An, den Wachturm, einer seine Frau
Und ein Jodeldiplom, eine Audienz in Rom
Und Schlehmil eine fast neue Acht – genau!
Einer bietet mir Tugend
Die ewige Jugend
Einen Staubsauger an und das Du
Eine Geldanlage
'nen Joint, doch ich sage
Du hörst einfach nicht richtig zu:
Ich brauch kein' Geriater
Keinen Drogenberater
Keinen Selbstfindungskurs, keinen Schmäh'
Kein Mahlen nach Zahlen
Keine Ökosandalen
Ich brauche einen Sommelier! He!
Ich brauche einen Sommelier!

Wenn mir Charon zunickt und die Fähre mir schickt
Steh'n die Reiseschuh schon frisch besohlt
Wenn ich wirklich zum Schluß mein Glas abgeben muß
Wenn das schwarze Kaninchen mich holt
Mach ich keine Sperenzchen
Ich mache kein Tänzchen
Im Abgang, ich hätte nur gern
Antwort auf meine Frage
Nach der besten Lage
Was wähl ich im Weinberg des Herrn?

Trink ich Piesporter Treppchen
Oder das Aldi-Schnäppchen
Deidesheimer Maushöhle
Ruppertsberger Gaisböhl, ey
Gieß ich Bullenheimer Paradies
Auf Lorchhauser Seligmacher?
Das ist ein echter Kracher!
Forster Ungeheuer
Mir ist nichts zu teuer!
Darum gleich: Zeltinger Himmelreich!
Ich brauch kein Gezeter
Und keinen Fürbeter
Wenn ich vor der Himmelstür steh
Nur ein Kenner der Reben
Soll mir noch 'nen Rat geben:
Ich brauche einen Sommelier, wenn ich geh -
Ich brauche einen Sommelier!