Reinhard Mey
Füchschen
Hör was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt
Füchschen, glaub‘ ihm nicht!

Hey Füchschen, siehst du Isegrimm, den Ehrenmann
Das noble Wams mit dem Designertüchlein dran?
Wie er so erdverbunden scherzt, bemüht, sich anzubiedern
Wie er so freundlich tut, wie er so volksnah lacht
Wie er auf "ich bin doch auch einer von Euch!" macht
Der Isegrimm beginnt, mich anzuwidern
Hat er doch lange schon vergessen, wo und wer wir sind
Vor Geltungssucht zerfressen und vor Machtgier blind
Sieht er sich nur noch selbst, der aufgeblas‘ne Gockel
Der beim Försterball noch eben mit der Wölfin tanzt
Und dreist schon hinterm Schuppen mit der Ziege ranzt
Will jetzt mit eit‘lem Ehrgeiz auf den Sockel
Du hast gesehn, wie Isegrimm die Treue bricht
Und wenn er dir das Blaue vom Himmel verspricht:
Füchschen, glaub‘ ihm nicht!

Hör was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt
Füchschen, glaub‘ ihm nicht!

Und vor Schwarzkittel, Füchschen, nimm dich ja in acht
Er heuchelt Demut, doch er schielt nach der Macht
Er täuscht und trügt mit frommen Redensarten
Er predigt Wasser, dabei trinkt er selber Wein
Und redet dir Schuld und Sünden ein
Und wildert an der Brut im eignen Garten
Immer salbungsvoll, immer verkorkst und geil
Sorgt sich der schlimme Finger um dein Seelenheil
Sieh ihn selbstgerecht die teig‘gen Hände reiben!
Er will dich eingeschüchtert und verschreckt und brav
Will dich als willenloses, stummes Schaf
Denn nur mit Ahnungslosen kann er‘s so bunt treiben
Doch gleichviel ob der schmierige Wicht
Dir Fegefeuer oder Paradies verspricht
Füchschen, glaub‘ ihm nicht!
Hör was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt
Füchschen, glaub ihm nicht!

Und Füchschen, hüte dich vor der Frau Gieremund
Nur Gift und Geifer sprudeln aus ihrem Schlund
Sie unterwirft sich hündisch und aus freien Stücken
Mit ihrem immer gestrigen Gejaul
Redet sie dem Pfaffen nach dem Maul
Und fällt den eignen Schwestern in den Rücken
Und meide klug den Bullenbeißer Rüsteviel
Seine Spießgesellen und sein Narrenspiel
Wo du die witterst, musst du schlimmes ahnen
Sie haben nie dem dunklen Bösen abgeschwor‘n
Sie ziehen dir das Fell über die Ohr‘n
Und die alte Losung* steht noch auf ihren Fahnen
Und wenn da einer von Ehre, Stolz und Pflicht
Von Vaterland und Gehorsam spricht
Füchschen, glaub ihm nicht!

Hör was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt
Füchschen, glaub ihm nicht!

Ich bin ein alter Knochen und mein Fell wird grau
Ich kenn‘ die Fallen und die Wolfseisen genau
Kenn‘ die Schrunden und die Beul‘n, wenn sie das Fell dir gerben
Ich kann dich lehr‘n, vor der kläffenden Meute zu flieh‘n
Die Kunst, den Kopf aus der Schlinge zu zieh‘n
Diesen Schlitz im Ohr, den kann ich dir vererben
Lehr dich geschmeidig gehn, gegen den Wind
Lehr dich Worte, die wie giftige Köder sind
Dann werd‘ ich lautlos seitwärts im Gebüsch verschwinden
Dann halt die Augen auf, pass‘ auf wie ein Luchs
Wasch dich mit allen Wassern, kleiner Fuchs
Du musst allein die eigne Wahrheit finden
Und wenn jemand aus dem Unterholz bricht
Und die allein seligmachende Weisheit verspricht
Füchschen, glaub ihm nicht!
Hör was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt
Füchschen, glaub m i r nicht!

* In der Waidmannsprache = Kot

Nach J.W. Goethes Dichtung: Reineke Fuchs