Reinhard Mey
Antje
Antje

Antje steht in ihrem Imbiß im Dorf an der B 10
Legt Papierservietten nach und wischt über den Tresen
Die Tür geht auf und zu, Leute kommen. Leute gehen
Das ist schon seit dem Urknall immer so gewesen
Antje wollte immer reisen, Antje wollte weit fort
Von den Tellern in die Welt und ist doch immer geblieben
Sie hängt nun mal an ihrem kleinen, grauen Ort
Wo sie die Menschen liebt und die Menschen sie lieben
Und jeder Trucker, der hungrig auf ihren Parkplatz rollt
Weiß, Antje, Antje, Antje hat ein Herz aus Gold

Antje kennt alle Filme, jeden großen Roman
Antje kennt sie alle, ihre durstigen Gesichter
Antje ist klug und weise und Antje schreibt an
Für die Beladenen, die heimlichen Trinker und Dichter
Antje hat einen Hund, der nicht beißt und nicht bellt
Derwarten kann mit der Gelassenheit eines Hundes
Der erkannt hat. die Schwerkraft regiert die Welt
Und daß früher oder später etwas schmackhaftes, rundes
Von irgendeinem Teller für ihn auf den Boden rollt
Antje, Antje, Antje hat ein Herz aus Gold

Antje hat vor gar nichts Angst, Antje hat Mut
Sie kennt dein Geheimnis und hütet es gut
Sie kennt deinen Kummer, sie weiß wie das ist
Wenn du fertig mit der Welt und ganz am Boden bist
Dann hat sie für dich ein Überlebenselixier
Eine Mahlzeit, eine Schulter und ein Quartier
Und ist ein Tief in deiner Seele aufgezogen:
Über Antjes Imbiß steht ein Regenbogen!
Antje lehnt am Grill und lacht mit ihrem kirschroten Mund
Über ihrer Tür scheint die vertraute Leuchtreklame
Antje ist immer da, Antje hat immer offen und
Der kleine Raum ist rappelvoll wie eine Notaufnahme
Für alle dies nach Labung für Leib und Seele verlangt
Nach Trost und Rat. nach Fritten und nach Frikadellen
Und wenn dein Lebensschiff in schwerem Wetter schwankt
Sie richtet's wieder auf, und rettet dich aus den Stromschnellen
Antje sieht, wenn eine Träne in deine Pommes rollt
Antje, Antje, Antje hat ein Herz aus Gold