Reinhard Mey
Schraders Filmpalast
Die Türen sind verschlossen, der Schaukasten ist leer
Die Leuchtschrift ist zerschlagen. Wie lange ist das her
Daß ich hier Schlange stand voller Erwartung um halb acht
Daß endlich wer im Kassenhäuschen die Luke aufmacht
Und wie für eine Überfahrt zählte ich bang mein Geld
Auf der Gangway zur Fähre in eine andere Welt
In der alles vollkommen war, wo nichts unmöglich schien
Die Wirklichkeit wirklicher als in meinen Phantasien
Die Hauswand bunt besprüht, da steht verwaschen und verblaßt:
Der letzte macht das Licht aus in Schraders Filmpalast
Die Mieten fressen alles auf, das trägt kein Kino mehr
Die Stadt hat große Pläne, da muß ganz was Neues her:
Ein ehrgeiziges Großprojekt, das in die Zukunft paßt
Der Letzte macht das Licht aus in Schraders Filmpalast

Palast, ein verdammt großer Name für 'nen Schuhkarton
Mit achtzehn Reihen im Parkett und dreien auf dem Balkon!
Und doch umschloß der abgewohnte rot samtene Raum
Das ganze Universum, alle Sehnsucht, jeden Traum
Die Diawerbung knistert und die Wochenschau tönt grell
Der dritte Gong, die Welt versinkt, jetzt bin ich der Rebell
Des Teufels General, jetzt ist High Noon, ich bin James Dean
Das dünne, sepiafarbene Programmheft auf den Knien
Nicht einen Edgar Wallace habe ich damals verpaßt!
Der letzte macht das Licht aus in Schraders Filmpalast
Und wenn das Saallicht anging, war auch mein Schicksal die Caine
Raucht' ich wie Humphrey Bogart und ich wankte wie John Wayne
Den Kragen hochgeschlagen auf die Straße ohne Hast
Der Letzte macht das Licht aus in Schraders Filmpalast
Die Einrichtung verhökert und die Traumfabrik geräumt
Der ratternde Projektor und die Leinwand – ausgeträumt!
Das Herzklopfen, das Flimmern weg, verloren der Geruch
Von Bubble-Gum und Prickel-Pit, Vivil und Waffelbruch
Die Bilder, die Plakate, die Erinnerungen an
Das Rosenresli, Doktor Pudlich und den Dritten Mann
Im Beißwerkzeug des Sperrmüllwagens zersplittert zum Schluß
Die letzte hölzerne Stuhlreihe – die vom ersten Kuß
Ihr wißt nicht, welche Reichtümer ihr euch da stehlen laßt
Der letzte macht das Licht aus in Schraders Filmpalast
Ihr werdet erst begreifen, wenn die ersten pleite geh'n
Wenn die eitlen Boutiquen in der neuen Mall leersteh'n
Mit zugeklebten Schaufenstern, trostlose Finsternis
Wie schwarze Zahnlücken in einem schadhaften Gebiß

Du siehst erst deine Schätze, wenn du sie verloren hast
Der Letzte macht das Licht aus in Schraders Filmpalast