Heinrich Heine
Das Buch Le Grand - Kapitel 79
                                                 Kapitel X

    Als Candide nach Eldorado kam, sah er auf der Straße mehrere Buben, die mit großen Goldklumpen statt mit Steinen spielten. Dieser Luxus machte ihn glauben, es seien das Kinder des Königs, und er war nicht wenig verwundert, als er vernahm, daß in Eldorado die Goldklumpen ebenso wertlos sind wie bei uns die Kieselsteine, und daß die Schulknaben damit spielen. Einem meiner Freunde, einem Ausländer, ist etwas Ähnliches begegnet, als er nach Deutschland kam und zuerst deutsche Bücher las und über den Gedankenreichtum, welchen er darin fand, sehr erstaunte; bald aber merkte er, daß Gedanken in Deutschland so häufig sind wie Goldklumpen in Eldorado und daß jene Schriftsteller, die er für Geistesprinzen gehalten, nur gewöhnliche Schulknaben waren.

    Diese Geschichte kommt mir immer in den Sinn, wenn ich im Begriff stehe, die schönsten Reflexionen über Kunst und Leben niederzuschreiben, und dann lache ich und behalte lieber meine Gedanken in der Feder oder kritzele statt dieser irgendein Bild oder Figürchen auf das Papier und überrede mich, solche Tapeten seien in Deutschland, dem geistigen Eldorado, weit brauchbarer als die goldigsten Gedanken.

    Auf der Tapete, die ich dir jetzt zeige, lieber Leser, siehst du wieder die wohlbekannten Gesichter Gumpelinos und seines Hirsch-Hyazinthos, und wenn auch jener mit minder bestimmten Zügen dargestellt ist, so hoffe ich doch, du wirst scharfsinnig genug sein, einen Negationscharakter ohne allzu positive Bezeichnungen zu begreifen. Letztere könnten mir einen Injurienprozeß zuwege bringen oder gar noch bedenklichere Dinge. Denn der Markese ist mächtig durch Geld und Verbindungen. Dabei ist er der natürlichste Alliierte meiner Feinde, er unterstützt sie mit Subsidien, er ist Aristokrat, Ultra-Papist, nur etwas fehlte ihm noch – je, nun, auch das wird er sich schon anlehren lassen – er hat das Lehrbuch dazu in den Händen, wie du auf der Tapete sehen wirst.

    Es ist wieder Abend, auf dem Tische stehen zwei Armleuchter mit brennenden Wachskerzen, ihr Schimmer spielt über die goldenen Rahmen der Heiligenbilder, die, an der Wand hängend, durch das flackernde Licht und die beweglichen Schatten zu leben scheinen. Draußen, vor dem Fenster, stehen im silbernen Mondschein, unheimlich bewegungslos, die düstern Zypressen, und in der Ferne ertönt ein trübes Marienliedchen in abgebrochenen Lauten und wie von einer kranken Kinderstimme. Es herrscht eine eigene Schwüle im Zimmer, der Markese Christophoro di Gumpelino sitzt oder vielmehr liegt wieder nachlässig vornehm auf den Kissen des Sofas, der edle schwitzende Leib ist wieder mit dem dünnen, blauseidenen Domino bekleidet, in den Händen hält er ein Buch, das in rotes Saffianpapier mit Goldschnitt gebunden ist, und deklamiert daraus laut und schmachtend. Sein Auge hat dabei einen gewissen klebrigten Lustre, wie er verliebten Katern eigen zu sein pflegt, und seine Wangen, sogar die beiden Seitenflügel der Nase, sind etwas leidend blaß. Jedoch, lieber Leser, diese Blässe ließe sich wohl philosophisch-anthropologisch erklären, wenn man bedenkt, daß der Markese den Abend vorher ein ganzes Glas Glaubersalz verschluckt hat.

    Hirsch-Hyazinthos aber kauert am Boden des Zimmers, und mit einem großen Stück weißer Kreide zeichnet er auf das braune Estrich in großem Maßstabe ungefähr folgende Charaktere:

    Dieses Geschäft scheint dem kleinen Manne ziemlich sauer zu werden; keuchend bei dem jedesmaligen Bücken, murmelt er verdrießlich: Spondeus, Trochäus, Jambus, Antispaß, Anapäst und die Pest! Dazu hat er, um der bequemeren Bewegung willen, den roten Oberrock abgelegt, und zum Vorschein kommen zwei kurze demütige Beinchen in engen Scharlachhosen und zwei etwas längere abgemagerte Arme in weißen, schlotternden Hemdärmeln.

    »Was sind das für sonderbare Figuren?« frug ich ihn, als ich diesem Treiben eine Weile zugesehen.

    »Das sind Füße in Lebensgröße«, ächzte er zur Antwort, »und ich geplagter Mann muß diese Füße im Kopfe behalten, und meine Hände tun mir schon weh von all den Füßen, die ich jetzt aufschreiben muß. Es sind die wahren echten Füße von der Poesie. Wenn ich es nicht meiner Bildung wegen täte, so ließe ich die Poesie laufen mit allen ihren Füßen. Ich habe jetzt bei dem Herrn Markese Privatunterricht in der Poesiekunst. Der Herr Markese liest mir die Gedichte vor und expliziert mir, aus wieviel Füßen sie bestehen, und ich muß sie notieren und dann nachrechnen, ob das Gedicht richtig ist.«

    »Sie treffen uns« – sprach der Markese didaktisch-pathetischen Tones – »wirklich in einer poetischen Beschäftigung. Ich weiß wohl, Doktor, Sie gehören zu den Dichtern, die einen eigensinnigen Kopf haben und nicht einsehen, daß die Füße in der Dichtkunst die Hauptsache sind. Ein gebildetes Gemüt wird aber nur durch die gebildete Form angesprochen, diese können wir nur von den Griechen lernen und von neueren Dichtern, die griechisch streben, griechisch denken, griechisch fühlen und in solcher Weise ihre Geschäfte an den Mann bringen.«

    »Versteht sich an den Mann, nicht an die Frau, wie ein unklassischer romantischer Dichter zu tun pflegt« – bemerkte meine Wenigkeit.

    »Herr Gumpel spricht zuweilen wie ein Buch«, flüsterte mir Hyazinth von der Seite zu, preßte die schmalen Lippen zusammen, blinzelte mit stolz vergnügten Äuglein und schüttelte das wunderstaunende Häuptlein. »Ich sage Ihnen« – setzte er etwas lauter hinzu – »wie ein Buch spricht er zuweilen, er ist dann sozusagen kein Mensch mehr, sondern ein höheres Wesen, und ich werde dann wie dumm, je mehr ich ihn anhöre.«

    »Und was haben Sie denn jetzt in den Händen?« frug ich den Markese.

    »Brillanten!« antwortete er und überreichte mir das Buch.

    Bei dem Wort »Brillanten« sprang Hyazinth in die Höhe; doch als er nur ein Buch sah, lächelte er mitleidigen Blicks. Dieses brillante Buch aber hatte auf dem Vorderblatte folgenden Titel:

                   »Gedichte von August Grafen von Platen;                    Stuttgart und Tübingen. Verlag der J. G.                                Cottaschen Buchhandlung.
                                              1828.«

    Auf dem Hinterblatte stand zierlich geschrieben: »Geschenk warmer brüderlicher Freundschaft.« Dabei roch das Buch nach jenem seltsamen Parfüm, der mit Eau de Cologne nicht die mindeste Verwandtschaft hat, und vielleicht auch dem Umstände beizumessen war, daß der Markese die ganze Nacht darin gelesen hatte.

    »Ich habe die ganze Nacht kein Auge zutun können« – klagte er mir – »ich war so sehr bewegt, ich mußte elf mal aus dem Bette steigen, und zum Glück hatte ich dabei diese vortreffliche Lektüre, woraus ich nicht bloß Belehrung für die Poesie, sondern auch Trost für das Leben geschöpft habe. Sie sehen, wie sehr ich das Buch geehrt, es fehlt kein einziges Blatt, und doch, wenn ich so saß, wie ich saß, kam ich manchmal in Versuchung –«

    »Das wird mehreren passiert sein, Herr Markese.«

    »Ich schwöre Ihnen bei unserer lieben Frau von Loreto, und so wahr ich ein ehrlicher Mann bin« – fuhr jener fort – »diese Gedichte haben nicht ihresgleichen. Ich war, wie Sie wissen, gestern abend in Verzweiflung, sozusagen, au dese-poir, als das Fatum mir nicht vergönnte, meine Julia zu besitzen - da las ich diese Gedichte, jedesmal ein Gedicht, wenn ich aufstehen mußte, und eine solche Gleichgültigkeit gegen die Weiber war die Folge, daß mir mein eigener Liebesschmerz zuwider wurde. Das ist eben das Schöne an diesem Dichter, daß er nur für Männer glüht, in warmer Freundschaft; er gibt uns den Vorzug vor dem weiblichen Geschlechte, und schon für diese Ehre sollten wir ihm dankbar sein. Er ist darin größer als alle andern Dichter, er schmeichelt nicht dem gewöhnlichen Geschmack des großen Haufens, er heilt uns von unserer Passion für die Weiber, die uns so viel Unglück zuzieht – O Weiber! Weiber! wer uns von euren Fesseln befreit, der ist ein Wohltäter der Menschheit. Es ist ewig schade, daß Shakespeare sein eminentes theatralisches Talent nicht dazu benutzt hat, denn er soll, wie ich hier zuerst lese, nicht minder großherzig gefühlt haben als der große Graf Platen, der in seinen Sonetten von Shakespeare sagt:

        »Nicht Mädchenlaunen störten deinen Schlummer,
        Doch stets um Freundschaft sehn wir warm dich ringen:
        Dein Freund errettet dich aus Weiberschlingen
        Und seine Schönheit ist dein Ruhm und Kummer.«

    Während der Markese diese Worte mit warmem Gefühl deklamierte und der glatte Mist ihm gleichsam auf der Zunge schmolz, schnitt Hyazinth die widersprechendsten Gesichter, zugleich verdrießlich und beifällig, und endlich sprach er:

    »Herr Markese, Sie sprechen wie ein Buch, auch die Verse gehen Ihnen wieder so leicht ab wie diese Nacht, aber ihr Inhalt will mir nicht gefallen. Als Mann fühle ich mich geschmeichelt, daß der Graf Platen uns den Vorzug gibt vor den Weibern, und als Freund von den Weibern bin ich wieder ein Gegner von solch einem Manne. So ist der Mensch! Der eine ißt gern Zwiebeln, der andere hat mehr Gefühl für warme Freundschaft, und ich, als ehrlicher Mann, muß aufrichtig gestehen, ich esse gern Zwiebeln, und eine schiefe Köchin ist mir lieber als der schönste Schönheitsfreund. Ja, ich muß gestehen, ich sehe nicht so viel Schönes am männlichen Geschlecht, daß man sich darin verlieben sollte.«

    Diese letzteren Worte sprach Hyazinth, während er sich musternd im Spiegel betrachtete, der Markese aber ließ sich nicht stören und deklamierte weiter:

        »Der Hoffnung Schaumgebäude bricht zusammen,
        Wir mühn uns, ach! und kommen nicht zusammen;
        Mein Name klingt aus deinem Mund melodisch,
        Doch reihst du selten dies Gedicht zusammen;
        Wie Sonn und Mond uns stets getrennt zu halten,
        Verschworen Sitte sich und Pflicht zusammen,
         Laß Haupt an Haupt uns lehnen, denn es taugen
        Dein dunkles Haar, mein hell Gesicht zusammen!
        Doch ach! ich träume, denn du ziehst von hinnen,
        Eh noch das Glück uns brachte dicht zusammen!
        Die Seelen bluten, da getrennt die Leiber,
        O wären's Blumen, die man flicht zusammen!«

    »Eine komische Poesie!« – rief Hyazinth, der die Reime nachmurmelte – »Sitte sich und Pflicht zusammen, Gesicht zusammen, dicht zusammen, flicht zusammen! Komische Poesie! Mein Schwager, wenn er Gedichte liest, macht oft den Spaß, daß er am Ende jeder Zeile die Worte ›von vorn‹ und ›von hinten‹ abwechselnd hinzusetzt; und ich habe nie gewußt, daß die Poesiegedichte, die dadurch entstehen, Ghaselen heißen. Ich muß einmal die Probe machen, ob das Gedicht, das der Herr Markese deklamiert hat, nicht noch schöner wird, wenn man nach dem Wort ›zusammen‹ jedesmal, mit Abwechslung, ›von vorn‹ und ›von hinten‹ setzt; die Poesie davon wird gewiß zwanzig Prozent stärker.«

    Ohne auf dieses Geschwätz zu achten, fuhr der Markese fort im Deklamieren von Ghaselen und Sonetten, worin der Liebende seinen Schönheitsfreund besingt, ihn preist, sich über ihn beklagt, ihn des Kaltsinns beschuldigt, Pläne schmiedet, um zu ihm zu gelangen, mit ihm äugelt, eifersüchtelt, schmächtelt, eine ganze Skala von Zärtlichkeiten durchliebelt, und zwar so warmselig, betastungssüchtig und anleckend, daß man glauben sollte, der Verfasser sei ein manntolles Mägdlein – Nur müßte es dann einigermaßen befremden, daß dieses Mägdlein beständig jammert, ihre Liebe sei gegen die »Sitte«, daß sie gegen »diese trennende Sitte« so bitter gestimmt ist wie ein Taschendieb gegen die Polizei, daß sie liebend »die Lende« des Freundes umschlingen möchte, daß sie sich über »Neider« beklagt, »die sich schlau vereinen, um uns zu hindern und getrennt zu halten«, daß sie über verletzende Kränkungen klagt von seiten des Freundes, daß sie ihm versichert, sie wolle ihn nur flüchtig erblicken, ihm beteuert:

     »Nicht eine Silbe soll dein Ohr erschrecken!« und endlich gesteht:

        »Mein Wunsch bei andern zeugte Widerstreben,
        Du hast ihn nicht erhört, doch abgeschlagen
        Hast du ihn auch nicht, o mein süßes Leben!«

    Ich muß dem Markese das Zeugnis erteilen, daß er diese Gedichte gut vortrug, hinlänglich dabei seufzte, ächzte und, auf dem Sofa hin- und herrutschend, gleichsam mit dem Gesäße kokettierte. Hyazinth versäumte keineswegs, immer die Reime nachzuplappern, wenn er auch ungehörige Bemerkungen dazwischen schwätzte. Den Oden schenkte er die meiste Aufmerksamkeit. »Man kann bei dieser Sorte«, sagte er, »weit mehr lernen als bei Saunetten und Ghaselen; da bei den Oden die Füße oben ganz besonders abgedruckt sind, kann man jedes Gedicht mit Bequemlichkeit nachrechnen. Jeder Dichter sollte, wie der Graf Platen bei seinen schwierigsten Poesiegedichten, die Füßen oben drucken und zu den Leuten sagen: ›Seht, ich bin ein ehrlicher Mann, ich will euch nicht betrügen, diese krummen und geraden Striche, die ich vor jedes Gedicht setze, sind sozusagen ein Conto finto von jedem Gedicht, und ihr könnt nachrechnen, wieviel Mühe es mich gekostet, sie sind sozusagen das Ellenmaß von jedem Gedichte, und ihr könnt nachmessen, und fehlt daran eine einzige Silbe, so sollt ihr mich einen Spitzbuben nennen, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin.‹ Aber eben durch diese ehrliche Miene kann das Publikum betrogen werden. Eben, wenn die Füße vor dem Gedichte angegeben sind, denkt man: ich will kein mißtrauischer Mensch sein, wozu soll ich dem Manne nachzählen, er ist gewiß ein ehrlicher Mann, und man zählt nicht nach und wird betrogen. Und kann man immer nachrechnen? Wir sind jetzt in Italien, und da habe ich Zeit, die Füße mit Kreide auf die Erde zu schreiben und jede Ode zu kollationieren. Aber in Hamburg, wo ich mein Geschäft habe, fehlt mir die Zeit dazu, und ich müßte dem Grafen Platen ungezählt trauen, wie man traut bei den Geldbeuteln von der Courantkasse, worauf geschrieben steht, wie viel hundert Taler darin enthalten – sie gehen versiegelt von Hand zu Hand, jeder traut dem andern, daß so viel darin enthalten ist, wie darauf steht, und es gibt doch Beispiele, daß ein Müßiggänger, der nicht viel zu tun hatte, so einen Beutel geöffnet und nachgezählt und ein paar Taler zu wenig darin gefunden hat. So kann auch in der Poesie viel Spitzbüberei vorfallen. Besonders, wenn ich an Geldbeutel denke, werde ich mißtrauisch. Denn mein Schwager hat mir erzählt: im Zuchthaus zu Odensee sitzt – ein gewisser Jemand, der bei der Post angestellt war, und die Geldbeutel, die durch seine Hände gingen, unehrlich geöffnet und unehrlich Geld herausgenommen, und sie wieder künstlich zugenäht und weitergeschickt hat. Hört man von solcher Geschicklichkeit, so verliert man das menschliche Zutrauen und wird ein mißtrauischer Mensch. Es gibt jetzt viel Spützbüberei in der Welt, und es ist gewiß in der Poesie wie in jedem anderen Geschäft.

    »Die Ehrlichkeit« – fuhr Hyazinth fort, während der Mar- kese weiter deklamierte, ohne unserer zu achten, ganz versunken in Gefühl – »die Ehrlichkeit, Herr Doktor, ist die Hauptsache, und wer kein ehrlicher Mann ist, den betrachte ich wie einen Spitzbuben, und wen ich wie einen Spitzbuben betrachte, von dem kaufe ich nichts, von dem lese ich nichts, kurz ich mache kein Geschäft mit ihm. Ich bin ein Mann, Herr Doktor, der sich auf nichts etwas einbildet, wenn ich mir aber etwas einbilden wollte auf etwas, so würde ich mir etwas darauf einbilden, daß ich ein ehrlicher Mann bin. Ich will Ihnen einen edlen Zug von mir erzählen, und Sie werden staunen – ich sag Ihnen, Sie werden staunen, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin. Da wohnt ein Mann in Hamburg auf dem Speersort, und der ist ein Krautkrämer und heißt Klötzchen, das heißt, ich heiße den Mann Klötzchen, weil wir gute Freunde sind, sonst heißt der Mann Herr Klotz. Auch seine Frau muß man Madam Klotz nennen, und sie hat nie leiden können, daß ihr Mann bei mir spielte, und wenn ihr Mann bei mir spielen wollte, durfte ich mit dem Lotterielos nicht zu ihm ins Haus kommen, und er sagte mir immer auf der Straße: die und die Nummer will ich bei dir spielen, und hier hast du das Geld, Hirsch! Und ich sagte dann: gut, Klötzchen! Und kam ich nach Hause, so legte ich die Nummer kuvertiert für ihn aparte und schrieb auf das Kuvert mit deutschen Buchstaben: für Rechnung des Herrn Christian Hinrich Klotz. Und nun hören Sie und staunen Sie: Es war ein schöner Frühlingstag, und die Bäume an der Börse waren grün, und die Zephyrlüfte waren angenehm, und die Sonne glänzte am Himmel, und ich stand an der Hamburger Bank. Da kommt Klötzchen, mein Klötzchen, und hat am Arm seine dicke Madame Klotz und grüßt mich zuerst und spricht von der Frühlingspracht Gottes, macht auch einige patriotische Bemerkungen über das Bürgermilitär, und er fragt mich, wie die Geschäfte gehen, und ich erzähle ihm, daß vor einigen Stunden wieder einer am Pranger gestanden, und so im Gespräch sagt er mir: gestern nacht habe ich geträumt, Numero 1538 wird als das große Los herauskommen – und in demselben Moment, während Madam Klotz die Kaiserstatisten vor dem Rathaus betrachtet, drückt er mir dreizehn vollwichtige Stück Louisdor in die Hand – ich meine, ich fühle sie noch jetzt – und ehe Madam Klotz sich wieder herumdreht, sag ich: gut Klötzchen! und gehe weg. Und ich gehe directement, ohne mich umzusehen, nach der Hauptkollekte und hole mir Nummero 1538 und kuvertiere sie, sobald ich nach Hause komme, und schreibe auf das Kuvert: für Rechnung des Herrn Christian Hinrich Klotz. Und was tut Gott? Vierzehn Tage nachher, um meine Ehrlichkeit auf die Probe zu stellen, läßt er Nummero 1538 herauskommen mit einem Gewinn von 50000 Mark. Was tut aber Hirsch, derselbe Hirsch, der jetzt vor Ihnen steht? Dieser Hirsch zieht ein reines weißes Oberhemdchen und ein reines weißes Halstuch an und nimmt sich eine Droschke und holt sich bei der Hauptkollekte seine 50000 Mark und fährt damit nach dem Speersort – Und wie mich Klötzchen sieht, fragt er: Hirsch, warum bist du heut so geputzt? Ich aber antworte kein Wort und setze einen großen Überraschungsbeutel mit Gold auf den Tisch und rede ganz feierlich: Herr Christian Hinrich Klotz! die Numero 1538, die Sie so gütig waren bei mir zu bestellen, hat das Glück gehabt, 50000 Mark zu gewinnen, in diesem Beutel habe ich die Ehre, Ihnen das Geld zu präsentieren, und ich bin so frei, mir eine Quittung auszubitten! Wie Klötzchen das hört, fängt er an zu weinen, wie Madame Klotz die Geschichte hört, fängt sie an zu weinen, die rote Magd weint, der krumme Ladendiener weint, die Kinder weinen, und ich? ein Rührungsmensch, wie ich bin, konnte ich doch nicht weinen und fiel erst in Ohnmacht, und erst nachher kamen mir die Tränen aus den Augen wie ein Wasserbach, und ich weinte drei Stunden.«

    Die Stimme des kleinen Menschen bebte, als er dieses erzählte, und feierlich zog er ein schon erwähntes Päckchen aus der Tasche, wickelte davon den schon verblichenen Rosataffet und zeigte mir den Schein, worin Christian Hinrich Klotz den richtigen Empfang der 50000 Mark quittierte. »Wenn ich sterbe« – sprach Hyazinth, eine Träne im Auge – soll man mir diese Quittung mit ins Grab legen, und wenn ich einst dort oben, am Tage des Gerichts, Rechenschaft geben muß von meinen Taten, dann werde ich mit dieser Quittung in der Hand vor den Stuhl der Allmacht treten, und wenn mein böser Engel die bösen Handlungen, die ich auf dieser Welt begangen habe, vorgelesen und mein guter Engel auch die Liste von meinen guten Handlungen ablesen will, dann sag ich ruhig: Schweig! – ich will nur wissen, ist diese Quittung richtig? ist das die Handschrift von Christian Hinrich Klotz? Dann kommt ein ganz kleiner Engel herangeflogen und sagt, er kenne ganz genau Klötzchens Handschrift, und er erzählt zugleich die merkwürdige Geschichte von der Ehrlichkeit, die ich mal begangen habe. Der Schöpfer der Ewigkeit aber, der Allwissende, der alles weiß, erinnert sich an diese Geschichte, und er lobt mich in Gegenwart von Sonne, Mond und Sternen und berechnet gleich im Kopf, daß wenn meine bösen Handlungen von 50000 Mark Ehrlichkeit abgezogen werden, mir noch ein Saldo zugut kommt, und er sagt dann: Hirsch! ich ernenne dich zum Engel erster Klasse, und du darfst Flügel tragen mit rot und weißen Federn.«