Heinrich Heine
Das Buch Le Grand - Kapitel 74
                                               Kapitel V

    Signora Lätitia, eine fünfzigjährige junge Rose, lag im Bette und trillerte und schwatzte mit ihren beiden Galans, wovon der eine auf einem niedrigen Schemel vor ihr saß und der andre, in einem großen Sessel lehnend, die Gitarre spielte. Im Nebenzimmer flatterten dann und wann ebenfalls die Fetzen eines süßen Liedes oder eines noch wundersüßeren Lachens. Mit einer gewissen wohlfeilen Ironie, die den Markese zuweilen anwandelte, präsentierte er mich der Signora und den beiden Herren und bemerkte dabei: ich sei derselbe Johann Heinrich Heine, Doktor Juris, der jetzt in der deutschen juristischen Literatur berühmt sei. Zum Unglück war der eine Herrr ein Professor aus Bologna, und zwar ein Jurist, obgleich sein wohlgewölbter, runder Bauch ihn eher zu einer Anstellung bei der sphärischen Trigonometrie zu qualifizieren schien. Einigermaßen in Verlegenheit gesetzt, bemerkte ich, daß ich nicht unter meinem eigenen Namen schriebe, sondern unter dem Namen Jarcke; und das sagte ich aus Bescheidenheit, indem mir zufällig einer der weh-* mütigsten Insektennamen unserer juristischen Literatur ins Gedächtnis kam. Der Bologneser beklagte zwar, diesen berühmten Namen noch nicht gehört zu haben – welches auch bei dir, lieber Leser, der Fall sein wird –, doch zweifelte er nicht, daß er bald seinen Glanz über die ganze Erde verbreiten werde. Dabei lehnte er sich zurück in seinem Sessel, griff einige Akkorde auf der Gitarre und sang aus »Axur«:

      O mächtiger Brahma!
      Ach laß dir das Lallen
      Der Unschuld gefallen,
      Das Lallen, das Lallen –

    Wie ein lieblich neckendes Nachtigall-Echo schmetterte im Nebenzimmer eine ähnliche Melodie. Signora Lätitia aber trillerte dazwischen im feinsten Diskant:

      Dir allein glüht diese Wange,
      Dir nur klopfen diese Pulse;
      Voll von süßem Liebesdrange
      Hebt mein Herz sich dir allein!

    Und mit der fettigsten Prosastimme setzte sie hinzu: »Bartolo, gib mir den Spucknapf.«

    Von seinem niedern Bänkchen erhob sich jetzt Bartolo mit seinen dürren hölzernen Beinen und präsentierte ehrerbietig einen etwas unreinlichen Napf von blauem Porzellan.

    Dieser zweite Galan, wie mir Gumpelino auf deutsch zuflüsterte, war ein sehr berühmter Dichter, dessen Lieder, obgleich er sie schon vor zwanzig Jahren gedichtet, noch jetzt in ganz Italien klingen und mit der süßen Liebesglut, die in ihnen flammt, alt und jung berauschen; – derweilen er selbst jetzt nur ein armer, veralteter Mensch ist, mit blassen Augen im welken Gesichte, dünnen weißen Härchen auf dem schwankenden Kopfe und kalter Armut im kümmerlichen Herzen. So ein armer, alter Dichter mit seiner kahlen Hölzernheit gleicht den Weinstöcken, die wir im Winter auf den kalten Bergen stehen sehen, dürr und laublos, im Winde zitternd und von Schnee bedeckt, während der süße Most, der ihnen einst entquoll, in den fernsten Landen gar manches Zecherherz erwärmt und zu ihrem Lobe berauscht. Wer weiß, wenn einst die Kelter der Gedanken, die Druckerpresse, auch mich ausgepreßt hat und nur noch im Verlagskeller von Hoffmann und Campe der alte, abgezapfte Geist zu finden ist, sitze ich selbst vielleicht ebenso dünn und kümmerlich wie der arme Bartolo auf dem Schemel neben dem Bette einer alten Inamorata und reiche ihr auf Verlangen den Napf des Spuckes.

    Signora Lätitia entschuldigte sich bei mir, daß sie zu Bette liege und zwar bäuchlings, indem ein Geschwür an der Legitimität, das sie sich durch vieles Feigenessen zugezogen, sie jetzt hindere, wie es einer ordentlichen Frau zieme, auf dem Rücken zu liegen. Sie lag wirklich ungefähr wie eine Sphinx; ihr hochfrisiertes Haupt stemmte sie auf ihre beiden Arme, und zwischen diesen wogte, ihr Busen wie ein rotes Meer.

    »Sie sind ein Deutscher?« frug sie mich.

    »Ich bin zu ehrlich, es zu leugnen, Signora!« entgegnete meine Wenigkeit.

    »Ach, ehrlich genug sind die Deutschen!« – seufzte sie – »aber was hilft es, daß die Leute ehrlich sind, die uns berauben sie richten Italien zugrunde. Meine besten Freunde sitzen eingekerkert in Milano; nur Sklaverei –«

    »Nein, nein«, rief der Markese, »beklagen Sie sich nicht über die Deutschen, wir sind überwundene Überwinder, besiegte Sieger, sobald wir nach Italien kommen; und Sie sehen, Signora, Sie sehen und Ihnen zu Füßen fallen, ist dasselbe –« Und indem er sein gelbseidenes Taschentuch ausbreitete und darauf niederkniete, setzte er hinzu: »Hier knie ich und huldige Ihnen im Namen von ganz Deutschland.«

    »Christophoro di Gumpelino!« – seufzte Signora tiefgerührt und schmachtend – »Stehen Sie auf und umarmen Sie mich!«

    Damit aber der holde Schäfer nicht die Frisur und die Schminke seiner Geliebten verdürbe, küßte sie ihn nicht auf die glühenden Lippen, sondern auf die holde Stirne, so daß sein Gesicht tiefer hinabreichte und das Steuer desselben, die Nase, im roten Meere herumruderte.

    »Signor Bartolo!« rief ich, »erlauben Sie mir, daß auch ich mich des Spucknapfes bediene.«

    Wehmütig lächelte Signor Bartolo, sprach aber kein einziges Wort, obgleich er, nächst Mezzophante, für den besten Sprachlehrer in Bologna gilt. Wir sprechen nicht gern, wenn Sprechen unsre Profession ist. Er diente der Signora als ein stummer Ritter, und nur dann und wann mußte er das Gedicht rezitieren, das er ihr vor fünfundzwanzig Jahren aufs Theater geworfen, als sie zuerst in Bologna in der Rolle der Ariadne auftrat. Er selbst mag zu jener Zeit wohlbelaubt und glühend gewesen sein, vielleicht ähnlich dem heiligen Dionysos selbst, und seine Lätitia-Ariadne stürzte ihm gewiß bacchantisch in die blühenden Arme – Evoe Bacche! Er dichtete damals noch viele Liebesgedichte, die, wie schon erwähnt, sich in der italienischen Literatur erhalten haben, nachdem der Dichter und die Geliebte selbst schon längst zu Makulatur geworden.

    Fünfundzwanzig Jahre hat sich seine Treue bereits bewährt, und ich denke, er wird auch bis an sein seliges Ende auf dem Schemel sitzen und auf Verlangen seine Verse rezitieren oder den Spucknapf reichen. Der Professor der Jurisprudenz schleppt sich fast ebensolange schon in den Liebesfesseln der Signora, er macht ihr noch immer so eifrig die Cour wie im Anfang dieses Jahrhunderts, er muß noch immer seine akademischen Vorlesungen unbarmherzig vertagen, wenn sie seine Begleitung nach irgendeinem Orte verlangt, und er ist noch immer belastet mit allen Servituten eines echten Patito.

    Die treue Ausdauer dieser beiden Anbeter einer längst ruinierten Schönheit mag vielleicht Gewohnheit sein, vielleicht Pietas gegen frühere Gefühle, vielleicht nur das Gefühl selbst, das sich von der jetzigen Beschaffenheit seines ehemaligen Gegenstandes ganz unabhängig gemacht hat und diesen nur noch mit den Augen der Erinnerung betrachtet. So sehen wir oft alte Leute an einer Straßenecke, in katholischen Städten, vor einem Madonnenbilde knien, das so verblaßt und verwittert ist, daß nur noch wenige Spuren und Gesichtsumrisse davon übriggeblieben sind, ja, daß man dort vielleicht nichts mehr sieht als die Nische, worin es gemalt stand, und die Lampe, die etwa noch darüber hängt; aber die alten Leute, die, mit dem Rosenkranz in den zitternden Händen, dort so andächtig knien, haben schon seit ihren Jugendjahren dort gekniet, Gewohnheit treibt sie immer, um dieselbe Stunde, zu demselben Fleck, sie merkten nicht das Erlöschen des geliebten Heiligenbildes, und am Ende macht das Alter ja doch so schwachsinnig und blind, daß es ganz gleichgültig sein mag, ob der Gegenstand unserer Anbetung überhaupt noch sichtbar ist oder nicht. Die da glauben, ohne zu sehen, sind auf jeden Fall glücklicher als die Scharfäugigen, die jede hervorblühende Runzel auf dem Antlitz ihrer Madonnen gleich bemerken. Nichts ist schrecklicher als solche Bemerkungen! Einst freilich glaubte ich, die Treulosigkeit der Frauen sei das Schrecklichste, und um dann das Schrecklichste zu sagen, nannte ich sie Schlangen. Aber ach! jetzt weiß ich, das Schrecklichste ist, daß sie nicht ganz Schlangen sind; denn die Schlangen können jedes Jahr die alte Haut von sich abstreifen und neugehäutet sich verjüngen.

    Ob einer von den beiden antiken Seladons darüber eifersüchtig war, daß der Markese, oder vielmehr dessen Nase, oberwähntermaßen in Wonne schwamm, das konnte ich nicht bemerken. Bartolo saß gemütsruhig auf seinem Bänkchen, die Beinstöckchen übereinandergeschlagen, und spielte mit Signoras Schoßhündchen, einem jener hübschen Tierchen, die in Bologna zu Hause sind, und die man auch bei uns unter dem Namen Bologneser kennt. Der Professor ließ sich durchaus nicht stören in seinem Gesänge, den zuweilen die kichernd süßen Töne im Nebenzimmer parodistisch überjubelten; dann und wann unterbrach er auch selbst seinen Singsang, um mich mit juristischen Fragen zu behelligen. Wenn wir in unserem Urteil nicht übereinstimmten, griff er hastige Akkorde und klimperte Beweisstellen. Ich aber unterstützte meine Meinung immer durch die Autorität meines Lehrers, des großen Hugo, der in Bologna unter dem Namen Ugone, auch Ugolino, sehr berühmt ist.

    »Ein großer Mann!« rief der Professor und klimperte dabei und sang:

      Seiner Stimme sanfter Ruf
      Tönt noch tief in deiner Brust,
      Und die Qual, die sie dir schuf,
      Ist Entzücken, süße Lust.

    Auch Thibaut, den die Italiener Tibaldo nennen, wird in Bologna sehr geehrt; doch kennt man dort nicht sowohl die Schriften jener Männer als vielmehr ihre Hauptansichten und deren Gegensatz. Gans und Savigny fand ich ebenfalls nur dem Namen nach bekannt. Letzteren hielt der Professor für ein gelehrtes Frauenzimmer.

    »So, so« – sprach er, als ich ihn aus diesem leicht verzeihlichen Irrtum zog – »wirklich kein Frauenzimmer. Man hat mir also falsch berichtet. Man sagte mir sogar, der Signor Gans habe dieses Frauenzimmer einst auf einem Balle zum Tanze aufgefordert, habe einen Refüs bekommen, und daraus sei eine literarische Feindschaft entstanden.«

    »Man hat Ihnen in der Tat falsch berichtet, der Signor Gans tanzt gar nicht, schon aus dem menschenfreundlichen Grunde, damit nicht ein Erdbeben entstehe. Jene Aufforderung zum Tanze ist wahrscheinlich eine mißverstandene Allegorie. Die historische Schule und die philosophische werden als Tänzer gedacht, und in solchem Sinne denkt man sich vielleicht eine Quadrille von Ugone, Tibaldo, Gans und Savigny. Und vielleicht in solchem Sinne sagt man, daß Signor Ugone, obgleich er der Diable boiteux der Jurisprudenz ist, doch so zierliche Pas tanze wie die Lemière, und daß Signor Gans in der neuesten Zeit einige große Sprünge versucht, die ihn zum Hoguet der philosophischen Schule gemacht haben.«

    »Der Signor Gans« – verbesserte sich der Professor – »tanzt also bloß allegorisch, sozusagen metaphorisch« – Doch plötzlich, statt weiter zu sprechen, griff er wieder in die Saiten der Gitarre, und bei dem tollsten Geklimper sang er wie toll:

      Es ist wahr, sein teurer Name
      Ist die Wonne aller Herzen.
      Stürmen laut des Meeres Wogen,
      Droht der Himmel schwarz umzogen,
      Hört man stets Tarar nur rufen,
      Gleich als beugten Erd und Himmel
      Vor des Helden Namen sich.

    Von Herrn Göschen wußte der Professor nicht einmal, daß er existiere. Dies aber hatte seine natürlichen Gründe, indem der Ruhm des großen Göschen noch nicht bis Bologna gedrungen ist, sondern erst bis Poggio, welches noch vier deutsche Meilen davon entfernt ist, und wo er sich zum Vergnügen noch einige Zeit aufhalten wird. – Göttingen selbst ist in Bologna lange nicht so bekannt, wie man, schon der Dankbarkeit wegen, erwarten dürfte, indem es sich das deutsche Bologna zu nennen pflegt. Ob diese Benennung treffend ist, will ich nicht untersuchen; auf jeden Fall aber unterscheiden sich beide Universitäten durch den einfachen Umstand, daß in Bologna die kleinsten Hunde und die größten Gelehrten, in Göttingen hingegen die kleinsten Gelehrten und die größten Hunde zu finden sind.