Heinrich Heine
Das Buch Le Grand - Kapitel 2
                                             Kapitel II
                                                 Sie war liebenswürdig, und Er liebte                                                  Sie; Er aber war nicht liebenswürdig,                                                  und Sie liebte Ihn nicht.
                                                  (Altes Stück)

    Madame! das alte Stück ist eine Tragödie, obschon der Held darin weder ermordet wird, noch sich selbst ermordet. Die Augen der Heldin sind schön, sehr schön – Madame, riechen Sie nicht Veilchenduft? – sehr schön, und doch so scharfgeschliffen, daß sie mir wie gläserne Dolche durch das Herz drangen und gewiß aus meinem Rücken wieder herausguckten – aber ich starb doch nicht an diesen meuchelmörderischen Augen. Die Stimme der Heldin ist auch schön – Madame, hörten Sie nicht eben eine Nachtigall schlagen? – eine schöne, seidne Stimme, ein süßes Gespinst der sonnigsten Töne, und meine Seele ward darin verstrickt und würgte sich und quälte sich. Ich selbst – es ist der Graf vom Ganges, der jetzt spricht, und die Geschichte spielt in Venedig – ich selbst hatte mal dergleichen Quälereien satt, und ich dachte schon im ersten Akte dem Spiel ein Ende zu machen und die Schellenkappe mitsamt dem Kopfe herunterzuschießen, und ich ging nach einem Galanterieladen auf der Via Burstah, wo ich ein Paar schöne Pistolen in einem Kasten ausgestellt fand – ich erinnere mich dessen noch sehr gut, es standen daneben viel freudige Spielsachen von Perlemutter und Gold, eiserne Herzen an güldenen Kettlein, Porzellantassen mit zärtlichen Devisen, Schnupftabaksdosen mit hübschen Bildern, z. B. die göttliche Geschichte von der Susanna, der Schwanengesang der Leda, der Raub der Sabinerinnen, die Lucretia, das dicke Tugendmensch mit dem entblößten Busen, in den sie sich den Dolch nachträglich hineinstößt, die selige Bethmann, La belle ferronière, lauter lockende Gesichter – aber ich kaufte doch die Pistolen, ohne viel zu dingen, und dann kauft ich Kugeln, dann Pulver, und dann ging ich in den Keller des Signor Unbescheiden und ließ mir Austern und ein Glas Rheinwein vorstellen.

    Essen konnt ich nicht und trinken noch viel weniger. Die heißen Tropfen fielen ins Glas, und im Glas sah ich die liebe Heimat, den blauen, heiligen Ganges, den ewigstrahlenden Himalaja, die riesigen Banjanenwälder, in deren weiten Laubgängen die klugen Elefanten und die weißen Pilger ruhig wandelten, seltsam träumerische Blumen sahen mich an; heimlich mahnend, goldne Wundervögel jubelten wild, flimmernde Sonnenstrahlen und süßnärrische Laute von lachenden Affen neckten mich lieblich, aus fernen Pagoden ertönten die frommen Priestergebete, und dazwischen klang die schmelzend klagende Stimme der Sultanin von Delhi – in ihrem Teppichgemache rannte sie stürmisch auf und nieder, sie zerriß ihren silbernen Schleier, sie stieß zu Boden die schwarze Sklavin mit dem Pfauenwedel, sie weinte, sie tobte, sie schrie – Ich konnte sie aber nicht verstehen, der Keller des Signor Unbescheiden ist 3000 Meilen entfernt vom Harem zu Delhi, und dazu war die schöne Sultanin schon tot seit 3000 Jahren – und ich trank hastig den Wein, den hellen, freudigen Wein, und doch wurde es in meiner Seele immer dunkler und trauriger – Ich war zum Tode verurteilt –––––– Als ich die Kellertreppe wieder hinaufstieg, hörte ich das Armesünderglöckchen läuten, die Menschenmenge wogte vorüber; ich aber stellte mich an die Ecke der Strada San Giovanni und hielt folgenden Monolog:

         In alten Märchen gibt es goldne Schlösser,
         Wo Harfen klingen, schöne Jungfraun tanzen,
         Und schmucke Diener blitzen, und Jasmin
         Und Myrt und Rosen ihren Duft verbreiten –
         Und doch ein einziges Entzaubrungswort
         Macht all die Herrlichkeit im Nu zerstieben,
         Und übrig bleibt nur alter Trümmerschutt
         Und krächzend Nachtgevögel und Morast.
         So hab auch ich mit einem einz'gen Worte
         Die ganze blühende Natur entzaubert.
         Da liegt sie nun, leblos und kalt und fahl,
         Wie eine aufgeputzte Königsleiche,
         Der man die Backenknochen rot gefärbt
         Und in die Hand ein Zepter hat gelegt.
         Die Lippen aber schauen gelb und welk,
         Weil man vergaß, sie gleichfalls rot zu schminken,
         Und Mäuse springen um die Königsnase,
         Und spotten frech des großen, goldnen Zepters. –

    Es ist allgemein rezipiert, Madame, daß man einen Monolog hält, ehe man sich totschießt. Die meisten Menschen benutzen bei solcher Gelegenheit das Hamletsche »Sein oder Nichtsein«. Es ist eine gute Stelle, und ich hätte sie hier auch gern zitiert – aber jeder ist sich selbst der Nächste, und hat man, wie ich, ebenfalls Tragödien geschrieben, worin solche Lebensabiturientenreden enthalten sind, z. B. den unsterblichen »Almansor«, so ist es sehr natürlich, daß man seinen eigenen Worten, sogar vor den Shakespeareschen, den Vorzug gibt. Auf jeden Fall sind solche Reden ein sehr nützlicher Brauch; man gewinnt dadurch wenigstens Zeit – Und so geschah es, daß ich an der Ecke der Strada San Giovanni etwas lange stehenblieb – und als ich dastand, ein Verurteilter, der dem Tode geweiht war, da erblickte ich plötzlich sie!

    Sie trug ihr blauseidnes Kleid und den rosaroten Hut, und ihr Auge sah mich an so mild, so todbesiegend, so lebenschenkend – Madame, Sie wissen wohl aus der römischen Geschichte, daß, wenn die Vestalinnen im alten Rom auf ihrem Wege einem Verbrecher begegneten, der zur Hinrichtung geführt wurde, so hatten sie das Recht, ihn zu begnadigen, und der arme Schelm blieb am Leben. – Mit einem einzigen Blick hat sie mich vom Tode gerettet, und ich stand vor ihr wie neubelebt, wie geblendet vom Sonnenglanze ihrer Schönheit, und sie ging weiter – und ließ mich am Leben.