Heinrich Heine
Die Götter im Exil - Kapitel 1
                                            Heinrich Heine
                                        Die Götter im Exil
                                                 (1853)

    Schon in meinen frühesten Schriften besprach ich die Idee, welcher die nachfolgenden Mitteilungen entsprossen. Ich rede nämlich hier wieder von der Umwandlung in Dämonen, welche die griechisch-römischen Gottheiten erlitten haben, als das Christentum zur Oberherrschaft in der Welt gelangte. Der Volksglaube schrieb jenen Göttern jetzt eine zwar wirkliche, aber vermaledeite Existenz zu, in dieser Ansicht ganz übereinstimmend mit der Lehre der Kirche. Letztere erklärte die alten Götter keineswegs, wie es die Philosophen getan, für Schimären, für Ausgeburten des Lugs und des Irrtums, sondern sie hielt sie vielmehr für böse Geister, welche durch den Sieg Christi vom Lichtgipfel ihrer Macht gestürzt, jetzt auf Erden, im Dunkel alter Tempeltrümmer oder Zauberwälder, ihr Wesen trieben und die schwachen Christenmenschen, die sich hierhin verirrt, durch ihre verführerischen Teufelskünste, durch Wollust und Schönheit, besonders durch Tänze und Gesang, zum Abfall verlockten. Alles was auf dieses Thema Bezug hat, die Umgestaltung der alten Naturkulte in Satansdienst und des heidnischen Priestertums in Hexerei, diese Verteuflung der Götter, habe ich sowohl im zweiten wie im dritten Teile des »Salon« unumwunden besprochen, und ich glaube mich jetzt um so mehr jeder weitern Besprechung überheben zu können, da seitdem viele andre Schriftsteller, sowohl der Spur meiner Andeutungen folgend, als auch angeregt durch die Winke, welche ich über die Wichtigkeit des Gegenstandes erteilt, jenes Thema viel weitläufiger, umfassender und gründlicher als ich behandelt haben. Wenn sie bei dieser Gelegenheit nicht den Namen des Autors erwähnt, der sich das Verdienst der Initiative erworben, so war dieses gewiß eine Vergeßlichkeit von geringem Belange. Ich selbst will einen solchen Anspruch nicht sehr hoch anschlagen. In der Tat, es ist wahr, das Thema, das ich aufs Tapet brachte, war keine Neuigkeit; aber es hat mit solchem Vulgarisieren alter Ideen immer dieselbe Bewandtnis, wie mit dem Ei des Kolumbus. Jeder hat die Sache gewußt, aber keiner hat sie gesagt. Ja, was ich sagte, war keine Novität, und befand sich längst gedruckt in den ehrwürdigen Folianten und Quartanten der Kompilatoren und Antiquare, in diesen Katakomben der Gelehrsamkeit, wo zuweilen mit einer grauenhaften Symmetrie, die noch weit schrecklicher ist als wüste Willkür, die heterogensten Gedankenknochen aufgeschichtet – Auch gestehe ich, daß ebenfalls moderne Gelehrte das erwähnte Thema behandelt; aber sie haben es sozusagen eingesargt in die hölzernen Mumienkasten ihrer konfusen und abstrakten Wissenschaftssprache, die das große Publikum nicht entziffern kann und für ägyptische Hieroglyphen halten dürfte. Aus solchen Grüften und Beinhäusern habe ich den Gedanken wieder zum wirklichen Leben heraufbeschworen, durch die Zaubermacht des allgemein verständlichen Wortes, durch die Schwarzkunst eines gesunden, klaren, volkstümlichen Stiles!

    Doch ich kehre zurück zu meinem Thema, dessen Grundidee, wie oben angedeutet, hier nicht weiter erörtert werden soll. Nur mit wenigen Worten will ich den Leser darauf aufmerksam machen, wie die armen alten Götter, von welchen oben die Rede, zur Zeit des definitiven Sieges des Christentums, also im dritten Jahrhundert, in Verlegenheiten gerieten, die mit älteren traurigen Zuständen ihres Götterlebens die größte Analogie boten. Sie befanden sich nämlich jetzt in dieselben betrübsamen Notwendigkeiten versetzt, worin sie sich schon weiland befanden, in jener uralten Zeit, in jener revolutionären Epoche, als die Titanen aus dem Gewahrsam des Orkus heraufbrachen und, den Pelion auf den Ossa türmend, den Olymp erkletterten. Sie mußten damals schmählich flüchten, die armen Götter, und unter allerlei Vermummungen verbargen sie sich bei uns auf Erden. Die meisten begaben sich nach Ägypten, wo sie zu größerer Sicherheit Tiergestalt annahmen, wie männiglich bekannt. In derselben Weise mußten die armen Heidengötter wieder die Flucht ergreifen und unter allerlei Vermummungen in abgelegenen Verstecken ein Unterkommen suchen, als der wahre Herr der Welt sein Kreuzbanner auf die Himmelsburg pflanzte, und die ikonoklastischen Zeloten, die schwarze Bande der Mönche, alle Tempel brachen und die verjagten Götter mit Feuer und Fluch verfolgten. Viele dieser armen Emigranten, die ganz ohne Obdach und Ambrosia waren, mußten jetzt zu einem bürgerlichen Handwerke greifen, um wenigstens das liebe Brot zu erwerben. Unter solchen Umständen mußte mancher, dessen heilige Haine konfisziert waren, bei uns in Deutschland als Holzhacker taglöhnern und Bier trinken statt Nektar. Apollo scheint sich in dieser Not dazu bequemt zu haben, bei Viehzüchtern Dienste zu nehmen, und wie er einst die Kühe des Admetos weidete, so lebte er jetzt als Hirt in Niederösterreich, wo er aber, verdächtig geworden durch sein schönes Singen, von einem gelehrten Mönch als ein alter zäuberischer Heidengott erkannt, den geistlichen Gerichten überliefert wurde. Auf der Folter gestand er, daß er der Gott Apollo sei. Vor seiner Hinrichtung bat er auch, man möchte ihm nur noch einmal erlauben, auf der Zither zu spielen und ein Lied zu singen. Er spielte aber so herzrührend und sang so bezaubernd, und war dabei so schön von Angesicht und Leibesgestalt, daß alle Frauen weinten, ja viele durch solche Rührung später erkrankten. Nach einiger Zeit wollte man ihn aus seiner Gruft wieder hervorziehen, um ihm einen Pfahl durch den Leib zu stoßen, in der Meinung, er müsse ein Vampir gewesen sein, und die erkrankten Frauen würden durch solches probate Hausmittel genesen; aber man fand das Grab leer.

    Über die Schicksale des alten Kriegsgottes Mars, seit dem Siege der Christen, weiß ich nicht viel zu vermelden. Ich bin nicht abgeneigt zu glauben, daß er in der Feudalzeit das Faustrecht benutzt haben mag. Der lange Schimmelpennig, Neffe des Scharfrichters von Münster, begegnet ihm zu Bologna, wo sie eine Unterredung hatten, die ich an einem andern Orte mitteilen werde. Einige Zeit vorher diente er unter Frondsberg in der Eigenschaft eines Landsknechtes, und war zugegen bei der Erstürmung von Rom, wo ihm gewiß bitter zumute war, als er seine alte Lieblingsstadt und die Tempel, worin er selbst verehrt worden, sowie auch die Tempel seiner Verwandten, so schmählich verwüsten sah.

    Besser als dem Mars und dem Apollo war es, nach der großen Retirade, dem Gotte Bacchus ergangen, und die Legende erzählt Folgendes:

    In Tirol gibt es sehr große Seen, die von Waldungen umgeben, deren himmelhohe Bäume sich prachtvoll in der blauen Flut abspiegeln. Baum und Wasser rauschen so geheimnisvoll, daß einem wunderlich zu Sinne wird, wenn man dort einsam wandelt. An dem Ufer eines solchen Sees stand die Hütte eines jungen Fischers, der sich mit dem Fischfang ernährte und auch wohl das Geschäft eines Fährmanns besorgte, wenn irgendein Reisender über den See gesetzt zu werden begehrte. Er hatte eine große Barke, die an alten Baumstämmen angebunden unfern von seiner Wohnung lag. In dieser letztern lebte er ganz allein. Einst, zur Zeit der herbstlichen Tagesgleiche, gegen Mitternacht, hörte er an sein Fenster klopfen, und als er vor die Türe trat, sah er drei Mönche, die ihre Köpfe in den Kutten tief vermummt hielten und sehr eilig zu sein schienen. Einer von ihnen bat ihn hastig, ihnen seinen Kahn zu leihen, und versprach, denselben in wenigen Stunden an dieselbe Stelle zurückzubringen. Die Mönche waren ihrer drei, und der Fischer, welcher unter solchen Umständen nicht lange zögern konnte, band den Kahn los, und während jene einstiegen und über den See fortfuhren, ging er nach seiner Hütte zurück, und legte sich aufs Ohr. Jung wie er war, schlief er bald ein, aber nach einigen Stunden ward er von den zurückkehrenden Mönchen aufgeweckt; als er zu ihnen hinaustrat, drückte ihm einer von ihnen ein Silberstück als Fahrgeld in die Hand, und alle drei eilten rasch von dannen. Der Fischer ging, nach seinem Kahn zu schauen, den er fest angebunden fand. Dann schüttelte er sich, doch nicht wegen der Nachtluft. Es war ihm nämlich sonderbar fröstelnd durch die Glieder gefahren und es hatte ihm fast das Herz erkältet, als der Mönch, der ihm das Fährgeld gereicht, seine Hand berührte; die Finger des Mönches waren eiskalt. Diesen Umstand konnte der Fischer einige Tage lang gar nicht vergessen. Doch die Jugend schlägt sich endlich alles Unheimliche aus dem Sinn, und der Fischer dachte nicht mehr an jenes Ereignis, als im folgenden Jahre, gleichfalls um die Zeit der Tagesgleiche, gegen Mitternacht, an das Fenster der Fischerhütte geklopft wurde und wieder mit großer Hast die drei vermummten Mönche erschienen, welche wieder den Kahn verlangten. Der Fischer überließ ihnen denselben diesmal mit weniger Besorgnis, und als sie nach einigen Stunden zurückkehrten, und ihm einer der Mönche eilig das Fahrgeld in die Hand drückte, fühlte er wieder mit Schaudern die eiskalten Finger. Dasselbe Ereignis wiederholte sich jedes Jahr um dieselbe Zeit in derselben Weise, und endlich, als der siebente Jahrestag herannahte, ergriff den Fischer eine große Begier, das Geheimnis, das sich unter jenen drei Kutten verbarg, um jeden Preis zu erfahren. Er legte eine Menge Netzwerke in den Kahn, daß dieselben ein Versteck bildeten, wo er hineinschlüpfen konnte, während die Mönche das Fahrzeug besteigen würden. Die erwarteten dunklen Kunden kamen wirklich um die bestimmte Zeit, und es gelang dem Fischer, sich unversehens unter die Netze zu verstecken und an der Überfahrt teilzunehmen. Zu seiner Verwunderung dauerte diese nur kurze Zeit, während er sonst mehr als eine Stunde brauchte, ehe er ans entgegengesetzte Ufer gelangen konnte, und noch größer war sein Erstaunen, als er hier, wo die Gegend ihm so gut bekannt war, jetzt einen weiten offnen Waldesplatz sah, den er früher noch nie erblickt, und der mit Bäumen umgeben war, die einer ihm ganz fremden Vegetation angehörten. Die Bäume waren behängt mit unzähligen Lampen, auch Vasen mit loderndem Waldharz standen auf hohen Postamenten, und dabei schien der Mond so hell, daß der Fischer die dort versammelte Menschenmenge so genau betrachten konnte, wie am hellen Tage. Es waren viele hundert Personen, junge Männer und junge Frauen, meistens bildschön, obgleich ihre Gesichter alle so weiß wie Marmor waren, und dieser Umstand, verbunden mit der Kleidung, die in weißen, sehr weit aufgeschürzten Tuniken mit Purpursaum bestand, gab ihnen das Aussehen von wandelnden Statuen. Die Frauen trugen auf den Häuptern Kränze von natürlichem oder auch aus Gold- und Silberdraht verfertigtem Weinlaub, und das Haar war zum Teil auf dem Scheitel in eine Krone geflochten, zum Teil auch ringelte dasselbe aus dieser Krone wildlockig hinab in den Nacken. Die jungen Männer trugen ebenfalls auf den Häuptern Kränze von Weinlaub. Männer und Weiber aber, in den Händen goldne Stäbe schwingend, die mit Weinlaub umrankt, kamen jubelnd herangezogen, um die drei Ankömmlinge zu begrüßen. Einer derselben warf jetzt seine Kutte von sich, und zum Vorschein kam ein impertinenter Geselle von gewöhnlichem Mannesalter, der ein widerwärtig lüsternes, ja unzüchtiges Gesicht hatte, mit spitzen Bocksohren begabt war, und eine lächerlich übertriebene Geschlechtlichkeit, eine höchst anstößige Hyperbel, zur Schau trug. Der andre Mönch warf ebenfalls seine Kutte von sich, und man sah einen nicht minder nackten Dickwanst, auf dessen kahlen Glatzkopf die mutwilligen Weiber einen Rosenkranz pflanzten. Beider Mönche Antlitz war schneeweiß, wie das der übrigen Versammlung. Schneeweiß war auch das Gesicht des dritten Mönchs, der schier lachend die Kapuze vom Haupte streifte. Als er den Gürtelstrick seiner Kutte losband, und das fromme schmutzige Gewand nebst Kreuz und Rosenkranz mit Ekel von sich warf, erblickte man in einer von Diamanten glänzenden Tunika eine wunderschöne Jünglingsgestalt vom edelsten Ebenmaß, nur daß die runden Hüften und die schmächtige Taille etwas Weibisches hatten. Auch die zärtlich gewölbten Lippen und die verschwimmend weichen Züge verliehen dem Jüngling ein etwas weibisches Aussehen; doch sein Gesicht trug gleichwohl einen gewissen kühnen, fast übermütig heroischen Ausdruck. Die Weiber liebkosten ihn mit wilder Begeisterung, setzten ihm einen Efeukranz aufs Haupt, und warfen auf seine Schulter ein prachtvolles Leopardenfell. In demselben Augenblick kam, bespannt mit zwei Löwen, ein goldner zweirädriger Siegeswagen herangerollt, auf den sich der junge Mensch mit Herrscherwürde, aber doch heitern Blickes hinaufschwang. Er leitete an purpurnen Zügeln das wilde Gespann. An der rechten Seite seines Wagens schritt der eine seiner entkutteten Gefährten, dessen geile Gebärden und obenerwähnte unanständige Übertriebenheit das Publikum ergötzte, während sein Genosse, der kahlköpfige Dickwanst, den die lustigen Frauen auf einen Esel gehoben hatten, an der linken Seite des Wagens einherritt, in der Hand einen goldnen Pokal haltend, der ihm beständig mit Wein gefüllt wurde. Langsam bewegte sich der Wagen, und hinter ihm wirbelte die tanzende Ausgelassenheit der weinlaubgekrönten Männer und Weiber. Dem Wagen voran ging die Hofkapelle des Triumphators: der hübsche bausbäckige Junge mit der Doppelflöte im Maule; dann die hochgeschürzte Tamburinschlägerin, die mit den Knöcheln der umgekehrten Hand auf das klirrende Fell lostrommelte; dann die ebenso holdselige Schöne mit dem Triangel; dann die Hornisten, bocksfüßige Gesellen mit schönen aber lasziven Gesichtern, welche auf wunderlich geschwungenen Tierhörnern oder Seemuscheln ihre Fanfaren bliesen; dann die Lautenspieler –