Heinrich Heine
Atta Troll - Kapitel 15
                                             Kaput XIII.

    In dem schwarzen Felsenkessel
Ruht der See, das tiefe Wasser.
Melancholisch bleiche Sterne
Schaun vom Himmel. Nacht und Stille.

    Nacht und Stille. Ruderschläge.
Wie ein plätscherndes Geheimnis
Schwimmt der Kahn. Des Fährmanns Rolle
Übernahmen seine Nichten.

    Rudern flink und froh. Im Dunkeln
Leuchten manchmal ihre stämmig
Nackten Arme, sternbeglänzt,
Und die großen blauen Augen.

    Wir zur Seite sitzt Laskaro,
Wie gewöhnlich blass und schweigsam.
Mich durchschauert der Gedanke:
Ist er wirklich nur ein Todter?

    Bin ich etwa selbst gestorben,
Und ich schiffe jetzt hinunter
Mit gespenstischen Gefährten
In das kalte Reich der Schatten?

    Dieser See, ist er des Styxes
Düstre Fluth? Lässt Proserpine,
In Ermangelung des Charon,
Mich durch ihre Zofen holen?

    Nein, ich bin noch nicht gestorben
Und erloschen – in der Seele
Glüht mir noch und jauchzt und lodert
Die lebend'ge Lebensstamme.

    Diese Mädchen, die das Ruder
Lustig schwingen und auch manchmal
Mit dem Wasser, das herabtrauft,
Mich bespritzen, lachend, schäkernd –

    Diese frischen, drallen Dirnen
Sind fürwahr nicht geisterhafte
Kammerkatzen aus der Hölle,
Nicht die Zofen Proserpinens!

    Dass ich ganz mich überzeuge
Ihrer Oberweltlichkeit,
Und der eignen Lebensfülle
Auch thatsächlich mich versteh«,

    Drückt' ich hastig meine Lippen
Auf die rothen Wangengrübchen,
Und ich machte den Vernunftschluss:
Ja, ich küsse, also leb' ich!

    Angelangt ans Ufer, küsst' ich
Noch einmal die guten Mädchen;
Nur in dieser Münze ließen
Sie das Fährgeld sich bezahlen.